Perfektes Timing: Just an dem Tag, an dem der Freistaat Bayern seine Urheberrechte für Hitlers "Mein Kampf" verloren hat - sie sind ausgelaufen - hat der türkische Präsident Reycip Erdogan den deutschen Diktator zitiert, um seine angepeilte Verfassungsreform zu definieren. Am Tag danach, am 2. Jänner, hat das Präsidialamt in Ankara die Äußerung zu entschärfen versucht. Tatsache bleibt, dass Erdogan am Neujahrstag vor Journalisten erklärt hat, ein starker Zentralstaat und ein Präsidialsystem, wie sie ihm vorschweben, seien sehr wohl kompatibel - siehe Adolf Hitler.
Den Umbau der türkischen Verfassung zur weiteren Stärkung seiner Macht treibt Erdogan voran seitdem er Staatspräsident ist. Dass er so verbissen darum kämpft, ist nicht ganz verständlich. Denn auch ohne eine neue Verfassung beherrscht Erdogan die Türkei mit harter Hand und brutalsten Methoden. Seine Ankündigung, die kurdische Arbeiterpartei bis zum letzten Kämpfer ausmerzen zu wollen ("Wir werden sie bis in den letzten Winkel verfolgen und vernichten") spricht Bände.
Als der Chef der im Parlament vertretenen gemäßigten kurdischen Partei HDP, Demirtas, für die türkischen Kurden eine Autonomie forderte, konnte sich Erdogan nicht mehr halten. Mit wutverzerrtem Gesicht schwor er Rache: Es sei eine Frechheit, so eine Forderung auch nur auszusprechen.
Aus den angekündigten Drohungen Erdogans kann man zweierlei schließen: Dass er die HDP verbieten lassen wird oder dass ihr Chef Demirtas über kurz oder lang "ausgeschaltet" wird. So wie nacheinander kurdenfreundliche Anwälte, Journalisten und Politiker hingemetzelt wurden. Zwei Attentaten ist Demirtas bereits entgangen.
Mit einem solchen Diktator verhandelt die EU nun über einen möglichen Beitritt. Dass die türkische Regierung in einem mehrfach nachgewiesenen Nahverhältnis zum Daesch (IS) steht, der für den "Westen" zum Hauptfeind erklärt wurde, ändert nichts am wahnsinnigen Vorhaben der zuständigen EU-Politiker. Sie sind blind - oder total korrupt.
Denn selbst zynischer Pragmatismus, wie ihn die NATO anwendet, wenn sie die Türkei als Partnerland "verteidigt", greift im Falle der EU-Behörden nicht. Die NATO hat immerhin noch eine Rechnung mit Russland offen - wegen der Ukraine.
Doch die EU, die in der Präambel ihrer Charta den Respekt der Menschenrechte, der Presse- und Meinungsfreiheit und so vieles mehr auf ihre Fahnen schreibt, darf auf keinen Fall mit dieser Türkei Beitrittsverhandlungen führen.
Als Erdogan am Neujahrstag seine umstrittene Hitler-Äusserung tat, war er gerade von seinem Besuch in Saudi-Arabien zurückgekehrt: einem weiteren Land, dessen Reichtum westlichen Politikern den Verstand vernebelt.
47 Menschen sind am Neujahrstag in Riad exekutiert worden, so wie es im wahabitischen Land seit jeher üblich ist. Trotzdem liefern EU-Staaten ohne Gewissensbisse Waffen an die Saudis und zählen sie, zusammen mit den USA, zu ihren treuen Verbündeten. Dass auch Saudi Arabien massiv den Daesch unterstützt, den dieselben waffenliefernden Staaten offiziell bekämpfen, tut offensichtlich nichts zur Sache.
Eigentlich müssten sich Saudi Arabien und der IS zusammenschließen. Sie sind durch ihre radikale sunnitische Religionsauffassung geeint und durch die ganz spezifische Auslegung des Koran, was die Bestrafung von Sündern beziehungsweise Gesetzesbrechern, die Rechte der Frauen und die Behandlung Andersgläubiger betrifft. Weil sich aber der Islamische Staat den Sturz des wahabitischen Königshauses zum Ziel gesetzt hat und die Eroberung von Mekka und Medina, ist dieser Zusammenschluss - noch - nicht möglich.
Unter den am Neujahrstag in Saudi Arabien Hingerichteten befand sich auch ein prominenter schiitischer Prediger. Dessen Exekution wird Folgen nach sich ziehen. Der - schiitische- Iran hat mit Vergeltung gedroht. Auch die Schiiten des Libanon, des Irak, Jemens und Bahrains haben sich der iranischen Drohung angeschlossen.
Der Nahost-Konflikt hat also seit Jahresbeginn 2016 zusätzlichen Zündstoff.
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