Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen und die Ökosysteme der Welt zu schützen, muss der Konsum von Fleisch, Milch und Käse reduziert werden. Dies gilt vor allem für die Industrieländern – dort, wo die Menschen besonders viel konsumieren (im Schnitt 68,6 Kg pro Kopf im Jahr). Die Transformation hin zu einer stärker pflanzenbetonten Ernährung ist eine gewaltige Herausforderung, aber in keinem Industrieland ist bisher ein größerer Rückgang des Konsums zu beobachten. So hat sich in Deutschland zwar der Fleischverzehr seit 1991 um sieben Prozent reduziert. Den klimawissenschaftlichen Empfehlungen zufolge sollten im Durchschnitt nur bis zu 15 Kilogramm pro Kopf und Jahr gegessen werden und nicht knapp 60 kg wie derzeit.
Ohne solchen Kurswechsel wird die weltweite Fleischproduktion bis zum Jahr 2029 noch einmal um 40 Mio. Tonnen auf dann mehr als 360 Mio. Tonnen zulegen, wie die Heinrich-Böll-Stiftung errechnet hat. Die Folgen kann man sich kaum vorstellen, weil die ökologischen Grenzen des Planeten längst schon überschritten sind. Es ist schon lange bekannt: Die industrielle Fleischproduktion befeuert die Klimakrise, Waldrodungen, Pestizideinsatz, den Wasser- und Flächenverbrauch und Biodiversitätsverluste, vertreibt Menschen von ihrem Land. Hier die Darstellung der Wirkung der Halbierung des Fleischkonsums aus dem Fleischatlas.
In Südtirol wird argumentiert, dass es keine Massentierhaltung gäbe. Doch der Pro-Kopf-Fleischkonsum der Südtiroler liegt im gesamtitalienischen Durschnitt bei gut 60 kg im Jahr pro Kopf. Der hohe Fleischverbrauch der Inländer, der fleischintensive Tourismus, die florierende Speckindustrie machen uns zum Teil der Geschäftskette. Dieses Niveau an Tierkonsum geht weder mit Klimaschutz noch mit Tierwohl und auch nicht mit dem Schutz vor gefährlichen Krankheitserreger zusammen, die über Zoonosen auslösen.
Wenn diese Erkenntnisse seitens der Wissenschaft längst vorliegen, warum reagiert die Politik nicht darauf und fährt den bisherigen Kurs z.B. mit dem neuen Programm der EU-Agrarpolitik weiter wie bisher? Die Politik setzt die Rahmenbedingungen, beugt sich den Lobbys, reagiert aber auch auf den Druck von unten, von den Verbrauchern und der Bevölkerung. Die Politik beruft sich auf die Freiheit der Konsumenten, in deren Präferenzen die Politik nicht einzugreifen hat. Doch die Kultur des Tierkonsums ist nicht so frei gewachsen, wie behauptet wird. Einen Beitrag zur kritischen Haltung beim Tierkonsum hat der vor 8 Jahren erstmals erschienene „Fleischatlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung geliefert. Jetzt ist er gründlich überarbeitet worden und im Januar 2021 neu erschienen. Der Atlas ist im Kern eine Sammlung von Infografiken mit klar erläuterten Daten und Fakten. In keiner Publikation zum Thema werden die Machenschaften rund um die Fleischwirtschaft so kompakt und doch so anschaulich dargestellt. Die Publikation bringt auch für Kenner der Materie interessante neue Aspekte. Ein Beispiel: wussten Sie, dass im Zuge von Tierproduktion und –konsum in Deutschland jährlich 8,9 Millionen Tiere (Abfall in ganze Tiere umgerechnet) weggeworfen werden? Aber auch für jeden Fleischesser, der solche Zusammenhänge noch nicht wahrgenommen hat, ist der Fleischatlas ein Muss.
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Wie sehr sich die Politik (genauer : die nationalstaatlichen Regierungen) dem Druck der Lobbies beugt, musste der damalige Agrarkommissar Franz Fischler zur Kenntnis nehmen, als seine Anläufe zu einer Ökologisierung der Agrarförderungen an der fehlenden Mehrheit des Stimmgewichts im EU-Rat scheiterten (vor allem am Nein von Deutschland und Frankreich) - und es zeigt sich auch deutlich am 7-Jahres-Programm des Gipfels von 2020 und an der Realität der Verlagerung der Großschlachtbetriebe nach Deutschland, wo die Kontrollen und die arbeitsrechtlichen Auflagen am laxesten waren und sind - siehe Tönnies-Skandal. Es ist wieder einmal ein Beispiel für den nationalstaatlichen Egoismus, durch Deregulierungen und/ oder finanzielle Anreize die Mitbewerber um Unternehmensansiedlungen auszustechen. Am Ende dieser Spirale nach unten wird die EU vor die Hunde gehen.
Auch wenn die Bauern in Ö. und in Südtirol weitgehend nicht in Massentierhaltung produzieren - der Rest auf den pro-Kopf-Verbrauch wird aus Massentierhaltungen importiert. Die Kritik daran bildet den Hintergrund für den Krimi von Wolfgang Schorlau: "Am zwölften Tag" (ist allerdings nichts für zartbesaitete Gemüter), wo auch im Anhang dokumentiert ist, dass Zustände wie bei Tönnies schon jahrelang bekannt waren.
Danke für den Buchtipp, lieber Georg, und die wichtige Ergänzung in Sachen EU-Agrarpolitik. Dort wird wider besseres Wissen gehandelt, und mit der Massentierhaltung der Boden für die nächste Pandemie bereitet.
Im "Falter" (öst. Wochenzeitung mit Schwerpunkt auf Wien und auf Kultur) war anlässlich des Tönnies-Skandals zu lesen, dass drei Viertel aller Schweine in Massentierhaltung lungenkrank sind.