Im Vorfeld der Erstellung des neuen Klimaplans sind die Bürger verschiedentlich einbezogen worden. So z.B. mit einer online-Plattform des Landes, auf welche im Herbst 2021 Tausende von Kommentaren und Vorschlägen eingingen, die angeblich auch im Plan selbst berücksichtigt worden sind. Die Unternehmerverbände, Sozial- und Umweltorganisationen hatten mehrfach Gelegenheit, ihre Stellungnahmen abzugeben, so z.B. zum Entwurf des Klimaplans Teil 2, der am 18. Juli 2023 vorgestellt worden ist.
Gerade auf die Einbeziehung der verbandsmäßig organisierten Zivilgesellschaft setzt das Land auch bei der Umsetzung des neuen Plans. Dem sog. „Stakeholder-Forum“ wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen, weit stärker als der Bürgerschaft allgemein. Dieses Forum wird zu einer Art „ständigem Organ der Konsultation und Überwachung“ der Anwendung der klimapolitischen Leitlinien des Landes. Es erhält ein Sekretariat, wissenschaftliche Beratung und Expertenbegleitung und wird regelmäßig tagen. Ohne verbindliche Gutachten abgeben zu können, wird dieses Forum das Podium für die Debatte der Klimapolitik des Landes bilden. Die große Frage stellt sich: werden die Umwelt- und Klimaschutzorganisationen den Unternehmerlobbys Paroli bieten können? Werden sie auf die Landespolitik etwas mehr einwirken können, als es beim realen Machtpoker in Einzelfragen zurzeit der Fall ist? Werden die Sozialverbände und Gewerkschaften dem Klimaschutz etwas mehr Aufmerksamkeit schenken als bisher?
Eine weit geringere Rolle wird der angekündigte Bürgerrat spielen. Warum? In verschiedenen Ländern und Regionen sind eigene Klima-Bürgerräte mit vorzeigbaren Ergebnissen abgehalten worden. So etwa lieferte die französische „Convention nationale pour le climat“ 2019 149 Vorschläge, die zum Teil von Parlament und Regierung aufgegriffen worden sind. Der deutsche Klima-Bürgerrat, angestoßen von Mehr Demokratie e.V., gelangte nach monatelanger inhaltlicher Arbeit zu einem eindrucksvollen Abschlussbericht. Auch auf Bundesländerebene wurden mehrfach Klima-Bürgerräte abgehalten, die Bürgervorschläge für die Klimaschutzpolitik auf Landesebene sammelten. Darin liegen nämlich die Stärken dieser Form von Bürgerbeteiligung: abseits der organisierten Interessenvertretungen wird „einfachen“, per Los ausgewählten Menschen, die einen möglichst repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung bilden, deine Art herrschaftsfreier Raum geboten, mithilfe von Expertinnen Empfehlungen im Interesse des Gemeinwohls zu formulieren. Eine der großen Schwächen dieser Beteiligung: die Vorschläge gehen zwar offiziell an die politisch Verantwortlichen, haben aber keine Rechtswirkung. Das wird auch beim österreichischen Klima-Bürgerrat befürchtet, der im Frühjahr 2022 über die Bühne ging. Immerhin ging daraus eine Bewegung für eine Teilhabe von BürgerInnen an der Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft hervor.
In Südtirol hätten schon seit 5 Jahren Bürgerräte auf Landesebene zu klimapolitisch relevanten Fragen abgehalten werden können. Das Landesgesetz zur Partizipation Nr. 22/2018 widmet dieser Form von Partizipation einen ganzen Abschnitt IV., die Ausgestaltung selbst fiel aber schwach aus. Es ist nahezu undenkbar, dass eine zufällig zusammengestellte 15-köpfige Bürgergruppe in anderthalb Tagen Beratung zu einem halbwegs relevanten und somit komplexeren Thema der Landespolitik ein qualifiziertes Gutachten abgeben kann. Obendrein versäumte der Landtag seine Pflicht, die organisatorischen Voraussetzungen für die Abhaltung solcher Verfahren zu schaffen (L.G. Nr. 22/2018, Art.24, Büro für Bürgerbeteiligung). Ein neues Landesgesetz soll es nun richten, das diese Aufgabe an die EURAC auslagert. Kein Wunder, dass in diesen 4,5 Jahren kein einiger Antrag auf Abhaltung einer Bürgerrats gestellt worden ist, wofür nur 300 Unterschriften erforderlich wären.
Eine robustere Form von Bürgerrat strebte im Herbst 2021 die Initiative für mehr Demokratie an, nämlich einen „Großen Landesbürgerrat zur Klimakrise“ und zwar mit einer Volksinitiative. Nachdem die nötigen Unterschiften gesammelt waren, blockte die zuständige Richterkommission diesen Antrag wie auch andere Vorschläge der Initiative kurzerhand ab. lehnte die zuständige Richterkommission die Zulässigkeit des Antrags ab. Hier eine kurze „Leidensgeschichte“ der unendlichen Bemühungen für eine taugliche Regelung der direkten Demokratie. Nun sieht der Klimaplan selbst einen „Klima-Bürgerrat“ vor, der allerdings weder als Vorschlagsorgan (Phase der Vorschläge ist schon abgeschlossen) noch als Organ des Monitorings (besser bei den Stakeholdern aufgebhoben) wirklich passt.
Um Druck von unten auszuüben wäre die wirksamste Form der Bürgerbeteiligung gefragt, nämlich echte Volksabstimmungen. In Südtirol gibt es die beiden Grundrechte direkter Mitbestimmung durch den Souverän. Das L.G. Nr.22/2018 verankert die Volksinitiative (mind. 13.000 Wahlberechtigte stoßen eine verbindliche Volksabstimmung über einen eigenen Gesetzesvorschlag an) und das bestätigende Referendum. Nach einem Veto von mind. 300 Bürgern können wiederum 13.000 Wahlberechtigte eine bindende Volksabstimmung über ein soeben vom Landtag verabschiedetes Gesetz verlangen. Erst einmal, 2009, ist eine echte Volksinitiative zu 5 Themen gelungen, aufgrund der geringen Stimmbeteiligung (38,3%) aber gescheitert. Dieses Hindernis läge jetzt tiefer, zumal das L.G. Nr. 22/2018 das Quorum auf 25% abgesenkt hat, doch andere Hürden (z.B. die umständliche Art der Unterschriftenbeglaubigung) und die Willkür der Zulassungsinstanz bleiben aufrecht. So ist im März 2022 eine Volksinitiativvorlage zum Schutz der Artenvielfalt an der Richterkommission gescheitert. Zu recht kritisiert Hanspeter Staffler diese Entscheidung in einem kürzlichen SALTO-Interview: Südtirols Biodiversitätspläne abgelehnt (salto.bz)
So ist die direkte Demokratie in Südtirol bisher eine stumpfe Waffe geblieben, die auch in der Klimapolitik so schnell und wirksam ausgespielt werden kann. Da laut einer EURAC-Umfrage Mehrheiten wichtige Klimaschutzanliegen unterstützen, läge die Abhaltung von Volksabstimmungen auf der Hand. Doch die konkreten Hindernisse sind hoch und nicht zuletzt scheuen die Umwelt- und Klimaschutzorganisationen die hohen Kosten. Allein, es ist das einzige Instrument, mit dem die Bürger von unten zwischen den Wahlen die Logik der lobbydominierten Regierungspolitik durchbrechen könnten. Ein zentrales Thema für die nächsten Volksinitiative läge auf der Hand: ein Landes-Klimagesetz, um die zentralen Ziele, Maßnahmen und Instrumente des Klimaschutzes gesetzlich zu verankern, nicht bloß als unverbindlichen Plan.
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Klimaschutz fordert uns alle, doch lieber zeigen wir immer mit dem Finger auf den Nachbarn.
Ein Landes-Klimagesetz sollte den rechtlich viel zu schwachen Klimaplan ersetzen. Das ist jetzt, parallel mit konkreten Maßnahmen, für die kein eigenes Gesetz nötig ist, der nächste wichtigste Schritt.