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Parlamentsmehrheit will Wahlrechtsreform durchboxen

Vom Regen in die Traufe

Seit gestern steht das neue Wahlgesetz auf der Tagesordnung der Abgeordnetenkammer, ein überfälliger, nur vom Verfassungsgericht erzwungener Akt. Allerdings ist das ITALICUM nur eine raffiniertere Neuauflage des PORCELLUM, womit nicht nur die geharnischte Opposition der kleineren Parteien, sondern auch eine neue Klage auf Verfassungswidrigkeit riskiert. Ginge dieser Entwurf durch, würden wieder mindestens zwei Grundrechte verletzt.
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Wie das Verfassungsgericht in seinem Urteil Nr.1/2014 beanstandet hatte, wird durch eine derart gewaltige Mehrheitsprämie von 15-20% der Grundsatz der Gleichwertigkeit jeder Stimme verletzt. Nun führt das ITALICUM zwar die Mindeststimmenzahl von 35% ein, um in den Genuss der Mehrheitsprämie zu gelangen, doch es bleibt dabei: wenn 35,1% der Wähler 53% der Sitze erhalten, bleibt 64,9% der Wähler 47% der Sitze. Die Repräsentativität der seit 2005 gewählten Parlamentarier war nicht gegeben, und wird es mit dem ITALICUM auch nicht sein. Wie namhafte Juristen in der Zeitschrift MICROMEGA ausführen, wird es zu einem Roulettespiel zwischen drei Parteien kommen, die allesamt nicht die Mehrheit der Wählerschaft vertreten.

Die zweite gravierende Verletzung von Grundrechten der Wähler war die mit dem PORCELLUM verfügte Abschaffung der Vorzugsstimmen, die das ITALICUM ganz unbekümmert aufgreift. Renzi und Berlusconi sind sich darin einig, dass nicht der Wähler seine Vertreter im Parlament zu bestimmen hat, sondern die Parteizentralen. Da eventuell von Parteien abgehaltene interne Primärwahlen ein ganz freiwilliger, gesetzlich nicht geregelter Vorgang sind, bliebe es dabei, dass man als Wähler keinen Einfluss auf die Auswahl der Personen hätte.

Schließlich wird auch noch die Mindestprozenthürde kräftig erhöht. Während das alte PORCELLUM von Listenverbindungen 2% und von Einzelparteien mindestens 4% der Stimmen für den Einzug ins Parlament vorsah, wollen PD und FI jetzt Listenverbindungen 5%, Einzelparteien 8% und Koalitionen 12% abverlangen. Das wären schon fast türkische Verhältnisse (Sperrklausel 10%). In der Kombination führt ein solches Wahlrecht zu einem den Partei-Granden subalternen Parlament: alle kleineren Kräfte wären chancenlos, es gäbe nur mehr drei Fraktionen, und diese bestünden aus von den Parteizentralen nominierten Getreuen.

Das Gleichheitsprinzip wird durch eine derartige Mehrheitsprämie, wie das Verfassungsgericht in seinem Urteil festgehalten hat, verletzt, weil "...die Ausübung des aktiven Wahlrechts unter Bedingungen der Gleichheit erfolgen muss, weil jede Stimme potenziell und mit gleicher Würde zur Bildung der Vertretungsorgane beiträgt." Mit anderen Worten: unter dem Vorwand der "Stabilitätssicherung" kann nicht die Repräsentativität des Parlaments ad absurdum geführt werden.

Dass der PD eine solche Neuausgabe eines offenkundig verfassungswidrigen Wahlgesetzes betreibt und in mancher Hinsicht sogar verschlechtert, lässt sich nur so erklären, dass PD und FI glauben, auf Dauer eine dritte Partei von der Regierungsmehrheit ausschließen zu können. Neuwahlen 2014 oder 2015 werden auf diese Weise mit einem vermutlich verfassungswidrigen Wahlrecht abgehalten und völlig unnötigerweise riskiert man damit eine neue Verfassungsklage. Wie Juristen anmerken, könnte zudem der Staatspräsident gemäß Art. 74 der Verfassung ein solches Gesetz an die Kammern zurückverweisen. Da in Südtirol ein ganz anderes Wahlrecht in Kraft ist, müssten die Südtiroler Vertreter im Parlament eigentlich schon grundsätzlich und abgesehen von eventuellen Sonderregelungen für Minderheitenregionen gegen das ITALICUM stimmen.

Thomas Benedikter


 

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Kommentare

Bild des Benutzers Manfred Gasser
Manfred Gasser 30.01.2014, 17:45
Die Sperrklauseln kann man ja noch verstehen, die gibt es mehr oder weinger überall, aber was ich gar nicht verstehen kann, sind die blockierten Listen, das ist doch eine Entmündigung des Volkes! Und noch schlimmer finde ich die Mehrheitsprämie, wenn es so sein sollte, wie Sie sagen, und mehr 3 Blöcke übrig bleiben, dann wird es doch in diesem Staat so viel politischen Willen und Anstand geben, eine Koalition zu bilden. Und wenn man einen Bonuns braucht, weil es an der politische Kultur fehlt, den Willendes Volkes unzusetzen, dann kann man die Demokratie gleich abschaffen, in diesem bescheuerten Staat!!
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