Die Sprachenfrage ist von den Machthabern auf der Krim missbraucht worden, denn in der Autonomen Republik Krim ist das Russische Mehrheits- und Amtssprache. Kiew würde gegen die eigene Verfassung verstoßen, wenn man dieses Status antastete. Nach der Entmachtung von Janukowitsch gab es im Kiewer Parlament tatsächlich einen Beschluss, dem Russischen und weiteren Minderheitensprachen (z.B. Ungarisch im Westen) in mehrsprachigen Gebieten den Status einer "offiziellen regionalen Sprache" zu entziehen. Dieser Beschluss ist von Präsident Turtschinow mit einem Veto belegt. Inzwischen arbeitet man an der Neufassung des Sprachengesetzes, die die Interessen aller Landesteile berücksichtigen soll. Der politische Konflikt in der Ukraine läuft auch nicht primär entlang der Sprachgrenze. Mit der Krim hat dies direkt gar nichts zu tun. Wer auf der Krim heute sprachlich diskriminiert ist, das sind die 350.000 Tataren, denen die Assimilierung in die russische Kultur droht. 90% der tatarischen Kinder sind gezwungen, Schulen mit russischer Unterrichtssprache zu besuchen. Das könnte Andrej Pruss schon eher an Mussolini-Zeiten erinnern.
Auf der Krim spielt sich in diesen Wochen vielmehr eine Art "Anschluss" ab, der mit einem demokratischen Verfahren der Selbstbestimmung wie z.B. heuer in Schottland nicht entfernt vergleichbar ist. Die im Eiltempo durchgepeitschte Abstimmung im Regionalparlament von Sinferopol, ohne freie Debatte, vielmehr unter den Gewehrläufen der internen und externen Besatzer (woher weiß Pruss, dass keine neuen russischen Soldaten auf der Krim gekommen sind und woher haben die pro-russischen Milizen ihre Waffen?), ist die Volksabstimmung am Sonntag ohne freies und faires Verfahren angegangen worden. Die Krim-Russen mögen sich mehrheitlich seit der Zerfall der UdSSR den Anschluss an Russland gewünscht haben, doch das gibt ihnen nicht das Recht, allen übrigen 42% der Bewohnern der Krim (Ukrainer, Tataren, andere Minderheiten) ihren Willen aufzudrücken. Auch Österreich kann bei einer Regierungskrise in Rom nicht einfach die Schützen aufrüsten, dann in Südtirol einmarschieren und zwei Wochen später ein Referendum abhalten.
Unter normalen demokratischen Umständen ist es alles andere als ausgemacht, dass sich die Mehrheit der Krim-Bevölkerung für eine Rückkehr der Halbinsel zu Russland, wie bis 1954, ausspricht. Viele der 58% Russen könnten sich ohne militärischen Druck auch anders entscheiden. Eine Abstimmung im Klima militärischer Besatzung und ohne rechtsstaatliche Bedingungen führt zu neuen Konflikten: keine Minderheitenrechte, keine korrekte Information, keine Versammlungsfreiheit, und schon gar nicht die Gewährleistung der korrekten Stimmenauszählung - soll das ein demokratisches Verfahren der Selbstbestimmung sein? Falsch ist auch die Darstellung von Pruss der beim Referendum auf der Krim gestellten Fragen: es gibt nicht drei, sondern nur zwei, die beide auf einen sofortigen oder späteren Anschluss an Russland hinauslaufen. Der Borodina-Russe in Meran braucht den Südtirolern keinen Bären aufzubinden: für ein demokratisches, rechtsstaatliches und minderheitenfreundliches Europa ist diese Art von Anschluss einer autonomen Region unakzeptabel.
Thomas Benedikter
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