Der Text – er stammt aus „Cicero“ (online) und kann original hier http://www.cicero.de/weltbuehne/separatismus-die-krankheit-europas/57561#comments nachgelesen werden, beschreibt die „Krankheit“, die auch eine Südtiroler Krankheit ist (tatsächlich wird Südtirol auch genannt, eine gewisse Karriere haben wir scheint’s absolviert, ich weiß nur nicht, ob mich das freuen soll, angesichts der Umgebung, in die wir gestellt werden) sehr schön, vor allem aber seziert er mit messerscharfer Klinge und befördert den giftigen Eiter, der das Geschwür nährt, ans Tageslicht – wo er hingehört.
Weil ich also finde, dass dieser Artikel sehr wichtig ist, auch oder ganz besonders für uns (weit, weit über die nächsten Wahlen hinaus), habe ich ihn – ein bisschen unverschämt, ich weiß - kopiert und hoffe, bei Cicero wird man mir verzeihen. Einfache Verlinkungen, so glaube ich verstanden zu haben, werden nicht gelesen.
NB: In „Die Zeit“ habe ich kürzlich einen Text gelesen, in dem auch ein paar sehr interessante Fragen angeschnitten wurden – ich erinnere mich z. B. an „Warum stört das eigentlich Menschen eines bestimmten Territoriums, dass sie unter der Fahne eines bestimmten Landes leben, warum möchten sie lieber unter der Fahne eines anderen Landes leben?" oder die "Was hat europäische Identität mit der Sprache zu tun?" (http://www.zeit.de/2014/19/traum-von-europa-steinmeier-michail-schischkin-mely-kiyak). Die Diskussion solcher Fragen ließe ich weit spannender sein als – zum Beispiel – jene, ob ein (fiktives)„eigenständiges Südtirol „ Teil des (fiktiven) Nord- oder doch eher des (fiktiven) Süd-Euro sein sollte" (so gehört bei Die Südtiroler Freiheitlichen, ich glaube, Pius Leitner hat's gesagt).
In diesem Sinne: Angenehme Lektüre (und ein Dank im voraus an "Cicero", Wolfgang Prosinger (und den "Tagesspiegel")
SEPARATISMUS
Die Krankheit Europas
VON WOLFGANG PROSINGER (13. MAI 2014)
Separatisten denken klein. Dabei müssen wir in Europa Grenzen sprengen und der Genügsamkeit kühne Entwürfe entgegensetzen. Ein Beitrag in Kooperation mit dem Tagesspiegel
Kein Tag ohne neues Erschrecken, kein Tag ohne Kämpfe, kaum ein Tag ohne Tote. Und jetzt gar noch dieses groteske Referendum. Was vor Monaten in der Ukraine wie ein Zeichen der Hoffnung anfing, ist zu einem Konflikt geworden, der die Welt in einen Krieg reißen kann. Dabei geht es nicht nur um den alten Ost-West-Antagonismus, der nicht erst mit den sowjetischen Zeiten begann, sondern schon sehr viel früher. Es geht um eine Krankheit Europas, um den Separatismus, der schon seit langem einen ganzen Kontinent vergiftet.
Separation kündigt Solidarität auf
Katalonien und Südtirol, Baskenland und Korsika und Nordirland, Schottland und Lombardei, Kleinstaaterei auf dem Balkan und am Kaukasus; und nun die Ostukraine.
Jeder Konflikt ist anders, sucht sich seine Berechtigung in ethnischen, geografischen, religiösen, historischen, ökonomischen, sprachlichen Wahrheiten und Halbwahrheiten. Doch allen gemeinsam ist: Jene Ansprüche, die da so stürmisch und nicht selten gewaltsam vorgetragen werden, sind fast immer Ansprüche einer unbekümmerten Verantwortungslosigkeit. Dort im Osten, dort im Süden, dort im Westen.
Natürlich, immer geht es vordergründig um Selbstbestimmung, Selbstbehauptung: dem Diktat der jeweiligen Zentralmacht entkommen, die Spielregeln selbst aufstellen, das eigene Sagen haben, nicht zuletzt bei den Finanzen. Und wer wollte sich dagegen aussprechen, da solche Bestrebungen doch immer geadelt sind durch ein großes Wort: Freiheit? Und garniert sind mit der heroisch-romantischen Geste: David gegen Goliath. Immer wieder im Lauf der Geschichte ist das so gewesen. Staatliche Gründungsmythen sind auf diese Weise entstanden, etwa in der Schweiz, Sturz des Tyrannen, um zu sich selbst, zur eigenen Größe zu gelangen.
Aber kommen sie wirklich, all die Autonomiebewegungen, aus so schrecklich erniedrigten und geknechteten Verhältnissen, aus wahrhafter Not? Heißt ihr Ziel tatsächlich Freiheit? Und greift die Liberté nicht zu kurz, wenn ihr Egalité und ganz besonders Fraternité fehlen? Segelt da etwa unter der Flagge der Freiheit ein Schiff daher, das etwas ganz anderes geladen hat: Egoismus etwa? Absage an Solidarität?
Die Welt als Dorf
In der Tat verbergen sich hinter der die große Freiheit verheißenden Geste in sehr vielen Fällen untrügliche, unübersehbare Zeichen einer kleinmütigen Beschränktheit und Verhocktheit. Je mehr sich die Welt als unüberschaubar erweist, als rätselhaftes Spiel politischer Dunkelmänner und undurchsichtiger finanzieller Raffgier, umso unaufhaltbarer schwillt eine Sehnsucht an: dass wenigstens vor der eigenen Haustür klare Verhältnisse herrschen, in der ein jeder jedem wohlbekannt sei, seiner Sprache und Stimme mächtig. Die Welt als Dorf. Als Wohlfühldorf. Bitte nicht stören.
Klein denken, kühnen Entwürfen die Genügsamkeit des „Small is beautiful“ entgegensetzen. Das ist der Kern dieses Wunsches. Verzagtheit, Ängstlichkeit und oft sogar Feigheit, das sind die Säulen, auf denen er ruht. Mag auch noch so viel folkloristisches Getöse um ihn sein, so viel Volkslied und Lagerfeuer, so viel Stickkunst und bemaltes Geschirr – Separatismus ist (nicht in jedem, aber in sehr vielen Fällen) ein Ausweis der Hilflosigkeit und Mutlosigkeit. Er ist kein Konzept, das in irgendeine Zukunft, in irgendeinen Fortschritt weisen könnte oder wollte. Er weist nur in eine Richtung: nach gestern.
Europa als Gegenmodell zu separatistischen Abenteuern
Und wird – nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten – vollends absurd zu Zeiten der Globalisierung, zu Zeiten eines sich vereinenden Europa. Genau das ist ja das Gegenmodell zu allen separatistischen Abenteuern: groß denken. Grenzen sprengen und nicht Grenzen suchen, das Fremde kennen-, möglicherweise sogar schätzen lernen, dem Nachbarn helfen, wenn es ihm schlecht geht, manchmal vielleicht sogar die Zeche zahlen.
Übernächsten Sonntag wird gewählt in diesem Europa. Es werden nicht viele zur Wahl gehen. Und unter den wenigen werden etliche sein, die Europa am liebsten in die Hände derer legen wollen, die Europa weder vertreten wollen noch verstanden haben. Und selbst im Großen noch immer klein denken, ihr dürftiges, mageres Süppchen auf der allzu großen europäischen Flamme kochen. Auch in Deutschland. Nicht nur bei der „Alternative für Deutschland“. Man muss sich nur den Wahlspot der CSU im Fernsehen anschauen, bei dem ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer die erstaunliche Europa-Parole einfällt: „Stärken Sie Bayern!“ Und er ballt dabei die Fäuste.
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