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Kreislaufwirtschaft

Weit entfernt von Kreislaufwirtschaft

„Südtirol ist gemeinsam mit europäischen Partnern Vorreiter in der Kreislaufwirtschaft.“ So steht es im Programm „Everyday for Future – Gemeinsam für Nachhaltigkeit“.
Community-Beitrag von Thomas Benedikter11.09.2023
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Immer wieder fällt in der klimapolitischen Diskussion das Stichwort „Regionale Kreislaufwirtschaft“. Wie realistisch sind solche Vorstellungen etwa in der Bauwirtschaft?

Nur getrennte Sammlung reicht nicht

Italien ist in der Wiederverwertung von Abfällen führend in Europa. Die „Strategia per l‘economia circolare sieht vor, dass die Entsorgung auf Deponien minimiert, die thermische Verwertung reduziert und 70% des Hausmülls getrennt gesammelt und wiederverwertet wird. Obwohl Italien bei einigen Stoffen eine hohe Wiederverwertungsrate erzielt wie z.B. beim Eisen (78%), bei Papier und Karton (83%), beim Glas (71%), wird beim Plastik zwar 56% gesammelt, aber nur 2% wiederverwertet. Ein Teil geht in der Umwelt verloren und landet als Mikroplastik in Wasser, Erde und Luft. Ein weiterer Teil wird verbrannt. Hohe Sammelquoten sagen noch nichts aus über die effektive stoffliche Wiederverwertung des Abfalls. Das gilt auch für Südtirol, wo sogar 40% des gesammelten Plastiks nur „thermisch“ in der Bozner Verbrennungsanlage verwertet wird. Damit wird der Kreislauf nicht geschlossen, sondern ein fossil hergestellter Stoff wird zu Energie, CO2 und Asche.

Der vom Volumen her größte Teil an rezyklierfähigen Stoffen entsteht beim Bauen. In Südtirol wird viel gebaut und auch relativ viel Bauschutt wiederverwertet. Meist findet beim Bauschutt aber ein „downcycling“ statt. Den zu Granulat zerkleinerten Beton nutzt man nicht für neuen Beton, sondern setzt es im Tief- und Straßenbau für den Unterbau ein. Bauholz wird verbrannt oder zu minderwertigem Sperrholz weiterverbarbeitet. Je mehr Verbundstoffmaterialien eingesetzt werden, wie z.B. beim Klimahaus, desto aufwändiger die Trennung und unvollständiger die Wiederverwertung. Vom insgesamt in Italien anfallenden Bauschutt wird zwar 80% gesammelt, aber zum geringeren Teil wiederverwertet. In Südtirol fällt jährlich rund eine Million Tonnen an Bauschutt und Bauabfällen an. Während 90% davon gesammelt wird – so die aktuelle Studie SEC der EURAC – wird die Hälfte davon nicht in getrennter Form angeliefert. Der „selektive Abbruch“ wäre Voraussetzung für die verstärkte Wiedergewinnung der Baustoffe.

Bauwirtschaft: viel Luft nach oben bei Kreislaufwirtschaft

In den letzten Jahrzehnten hat man die Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft vor allem durch mehr Energieeffizienz gewährleisten wollen, zumal die Bautätigkeit rund 36% des Endverbrauchs an Energie verschlingt und zu 39% der Treibhausgasemissionen führt (Studie SEC-EURAC). Heute versucht man, vor allem mehr Gebäude wiederzugewinnen, die Baumaterial wiederzuverwerten, den Stoffdurchsatz beim Bauen zu optimieren. Klimapolitisch wichtig bleibt die Reduktion des Betoneinsatzes, weil der dafür erforderliche Zement in der Herstellung emissionsintensiv ist. Die Zementwerke der Erde setzen immer noch viermal so viel CO2 frei wie der weltweite Flugverkehr zusammen.  

Weniger Betonverbrauch, das geht nur mit Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Holz und mit weniger Bauvolumen. Studien belegen für Deutschland, dass pro Kopf 30% weniger an Kubatur erstellt werden müsste, um nachhaltig zu werden, doch werden jährlich 400.000 neue Wohnungen benötigt. In Südtirol dürfte dies theoretisch nicht schwerfallen, denn es gibt schon 60.000 Wohnungen mehr als Haushalte, also genug Wohnraum für alle, die hier leben. Doch allein in Bozen wird ein Bedarf an 6000 neuen Wohnungen gemeldet. Altbausanierung und „tiny houses“ wären angesagt, um sowohl Flächen - laut Klimaplan Südtirol 2040 soll die Nettoneuversiegelung bis 2040 auf null sinken – als auch Baustoffe und vor allem Beton zu sparen. Das würde in Folge weniger Bedarf an Wiederverwertung von Bauschutt schaffen.

Kreislaufwirtschaft in Südtirol unterentwickelt

Vorreiter für Kreislaufwirtschaft werden, ist schnell geschrieben. Doch in Südtirol gibt es außer beim Bauschutt fast keine Anlagen zur Wiederverwertung. Zwar werden Bioabfälle in Kompostierungsanlagen verwertet, aber für zahlreiche andere getrennt gesammelte Wertstoffe (Papier, Karton, Glas, Metalle, usw.) ist Südtirol als Einzugsbereich zu klein. Für eine rentable Wiedergewinnung werden große Anlagen genutzt, die sich in anderen Regionen befinden. Nur beim Bauschutt besteht ein geschlossener Kreislauf in Südtirol, weil der Transport zu einer zentralisierten Anlage einfach zu teuer wäre. Der Bauschutt muss regional rezykliert werden, doch wird eben das meiste nur „downgecycelt“, wie oben ausgeführt. Hier gibt es somit noch viel Luft nach oben.

Südtirol exportiert nicht nur viel Wertstoffe, sondern importiert jede Menge Güter mit hohen CO2-Emissionen im Gepäck, die graue Energie. Südtirol erzeugt über diesen Baustoffimport weit mehr CO2-Emissionen, als Südtiroler verfliegen. Keines von beiden geht in die Südtiroler Emissionsbilanz ein. Der Klimaplan sieht vor, dass für Neubauten und Erweiterungen im öffentlichen Bereich gegenüber den bisherigen Standards maximal 60% an grauer Energie zu verbrauchen ist (Klimaplan, S. 49). Deshalb soll bei Bautätigkeiten verstärkt auf zertifizierte Recyclingprodukte aus Bauschutt zurückgegriffen werden. Zudem wird „innerhalb 2024 bei öffentlichen Ausschreibungen von Infrastrukturprojekten ein Prozentsatz eingefügt, welcher den Anteil an rezykliertem Baumaterial verpflichtend vorschreibt“ (S.49 Klimaplan). Alles gut recht, reicht aber nicht, um zum "Vorreiter der Kreislaufwirtschaft in Europa" zu werden.

Weniger Stoffe einsetzen, mehr wiederverwerten, einfacher und weniger Bauen

Der Baubereich kann für viele andere Bereiche industrieller Fertigung stehen. Die Wiederverwertung der eingesetzten Stoffe (Kreislaufwirtschaft) klappt nur, wenn weniger Stoffe in den Kreislauf gepumpt werden und die Produkte selbst zerlegbar und mit weniger Verbundstoffen konstruiert werden. Weil die Recyclingquote beim Material insgesamt auch aus technischen Gründen immer noch niedrig liegt, ist es geboten, den Materialdurchsatz selbst zu reduzieren.

Wenn man neben der Energiewende auch eine Materialwende anstreben will, geht es darum, Produktion und Konsum qualitativ rezyklierfähiger zu machen und  quantitativ runterzuschrauben. Die Energiewende zum Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft auf erneuerbare Energie ist selbst sehr material- und energieintensiv. So kommt nicht so sehr darauf an, die getrennte Müllsammlung zu perfektionieren und die Wiederverwertung zu erhöhen, sondern ganz vorne bei Bedarf und Produktion anzusetzen: weniger Ressourcen der Natur entnehmen, weniger verarbeiten, weniger Stoffe in industrieller Fertigung verbrauchen, kurz: mehr Suffizienz über den gesamten Zyklus, und im Zyklus kürzere Transportwege. Der Weg zu einer regionalen Kreislaufwirtschaft ist noch weit.

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Kommentare

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Josef Fulterer 12.09.2023, 08:11

Spätestens beim Abbruch rächt sich, die von der KLIMAHAUS-AGENTUR favorisierte unsinnige Verpappung mit Styrodur + Styrophor.
Die Unternehmer werden zwar mit knallharten exemplarischen STRAF-ANDROHUNGEN, zur detailierten Sortierung der Abfälle erzogen.
Bei den zugelassenen Firmen angekommen, gibt es nicht viele Möglichkeiten für die WIEDER-VERWENDUNG ...

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Josef Fulterer 12.09.2023, 08:14

..., gibt es "für den schön sortierten Abfall" ...

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Johannes Engl 12.09.2023, 13:51

Für ein Klimahaus ist das Ziel eine gute Wärmedämmung, es wird nicht Styrodur favorisiert. Die Verknüpfung Wärmedämmung = Styrodur ist nicht mehr zeitgemäß, da in der Praxis heute viele andere Materialien verwendet werden, z.B. Holzfaser und Mineralschaumplatten.

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Lukas Abram 12.09.2023, 09:14

Das Thema ist sehr wichtig und der Artikel von Herrn Benedikter wie immer eine Bereicherung der Diskussion. Danke dafür!
Als Fachmann erlaube ich mir, einige Punkte zu ergänzen.

Der Begriff "Klimahaus" sagt nur, dass das Gebäude eine sehr gute thermische Hülle hat. Die kann man auch ohne Verklebung und Styropor hinbekommen, kostet halt ein bisschen mehr. Würde man die Abbruchs- und realen Entsorgungskosten von Anfang an in die Kalkulation einbeziehen, wären diese Mehrkosten vernachlässigbar.

Tiny Houses sind keine Lösung! Die haben zwangsläufig eine große Außenfläche in Relation zur benutzbaren Wohnfläche. Ein Würfel hat 6 Seiten, welche beim Tiny House alle zu dämmen sind (und wir wissen, das Volumen steigt exponentiell hoch 3, die Fläche nur hoch 2. Ergo je größer das Volumen, desto vernachlässigbarer die Außenfläche). Außerdem benötigen sie viel Platz (Gebäudeabstände) und damit Flächenversiegelung, mehr Infrastrukuren, weitere Wege. Die Lösung kann nur der Geschoßwohnbau sein, da sind je nach Planung 4-5 Seiten jeder Wohnung gemeinsam mit der Nachbarwohnung (darüber, darunter, daneben) und daher nicht zu dämmen, und die restlichen Ressourcen und Kosten werden halbiert.

Ein gut gemachter Holzbau dient als CO2-Zwischenlager, weil das Holz nicht verrottet und das darin gespeicherte CO2 gebunkert bleibt. Außerdem wird er nicht abgebrochen, sondern in seine Einzelteile zerlegt, welche wieder verwendet werden können.

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Dietmar Nußbaumer 13.09.2023, 20:46

Ich finde das tinyhouse ein interessantes Konzept. Da gibt es bei uns ganz andere Bausünden im Bereich Energie.

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