Neulich stolperte ich über den Kommentar eines Mannes, der im Rahmen einer Gewalt-Diskussion Verständnis dafür zeigte, dass die Jugend unseres Landes zunehmend nach rechts bis weit rechts abdriftet und sich radikalisiert. Diese Tatsache – und sein Verständnis dafür - erklärte er damit, dass die jungen Leute ja schließlich von „Auswärtigen“ um ihre (!) Arbeitsplätze und somit um sämtliche Lebens- und Zukunftsperspektiven betrogen würden. Das ist eine interessante – und typisch, wenn nicht exklusiv – männliche Art, eigenes Versagen und eigene Unzulänglichkeiten von sich weg und auf andere – meist schwächere – zu schieben, die eigene Verantwortlichkeit gewissermaßen auszulagern und damit selbstkritische, also konstruktive „Nabelschau“ gar nicht erst zu zulassen. Es könnte ja was raus kommen, was einem Mann nicht so gut gefällt, oder nicht so gut passt, in das Bild, das Männer seit Jahrtausenden von sich haben und vor sich her tragen.
Wie gesagt, dieses merk- und denkwürdige männliche Verhalten habe ich in den verschiedensten Zusammenhängen beobachtet, auch aber bei weitem nicht nur im Zusammenhang mit Gewalt. Denn obwohl unbestritten ist, dass Gewalt ein Männerproblem ist, so haben wir doch, in all dem Vielen, das wir in diesen letzten Monaten und Wochen über Gewalt gehört und gelesen haben, nicht ein einziges Mal gehört (gelesen), dass Gewalt hauptsächlich ursächlich und erstinstanzlich ein Männerproblem ist. Kein einziges Mal. Es wurden Gipfel einberufen, Zahlen gesucht und gefunden, Statistiken gedeutet und missdeutet, Ethnien und Herkunft bemüht, es wurde diskutiert und gestritten, verurteilt und gemaßregelt, gelogen und betrogen – nur die Hauptsache wurde und wird geflissentlich verschwiegen.
(Einspruch!) Ja, ich weiß, es gibt gewalttätige Frauen, und es gibt Frauen, die an ihren Männern Gewalt ausüben. Das soll der Vollständigkeit halber und vorbeugend gesagt werden, aber jedenfalls nicht ohne den Zusatz, dass gewalttätige Frauen eine verschwindend geringe Minderheit darstellen. Erstens. Zweitens: Selbstverständlich und ausnahmslos ist Gewalt ein No-Go. Ein No-No-Go aber ist Gewalt eines körperlich Überlegenen an einer körperlich Unterlegenen. Oder zumindest war dies einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, ein zwar ungeschriebenes, deswegen aber kein bisschen weniger ehernes Gesetz. Es scheint heute seiner Gültigkeit beraubt, und nein, dieser ist nicht der Sinn von Gleichberechtigung, Gleichstellung und Emanzipation. Ich jedenfalls möchte hier mein erstes Ausrufezeichen setzen in Sachen Gewalt.
Und nun zurück zur Hauptsache, also dem Usus und Vermögen des männlichen Geschlechts, das eigene Ich nicht als das ursächliche Problem zu erkennen und anzuerkennen. In Sachen Gewalt, aber nicht nur. So etwas kann sich nicht jede leisten, und jedenfalls nicht, wer nicht über einen gewissen - beträchtlichen - Vorrat an Macht verfügt. Denn dieses ist eines der Hauptmerkmale von Macht und Privileg: Selbst ungeprüft weitergehen zu können (J. Katz)
Was Frauenparkplätze mit Männergewalt zu tun haben
Erinnert sich noch jemand, wie einer der Südtiroler Rom-Gesandten auf seiner Facebook-Pinnwand eines dieser abgründigen (Alt-)Herren-Witzchen absetzte? Über Frauenparkplätze? Ich fand das gar nicht lustig, nicht nur, weil ich Frau bin und sehr wohl sehr gut einparken kann, sondern weil: Wo und so lange es Frauenparkplätze gibt, kann es keine Gleichberechtigung (Gleichstellung) geben. Sie stehen da, diese Parkplätze (google: "Angsträume"), mit Blümchen oder Herzchen verziert und im rosa Rahmen, tun freundlich und zuvorkommend und sind sicher gut gemeint (! to whom it may concern...). Aber all das und auch der beste gute Wille ändern nichts daran, dass diese Parkplätze nichts weniger sind als der ungeheuerliche Ausdruck der Tatsache, dass männliche Gewalt (an Frauen) als gegeben akzeptiert und gesellschaftlich anerkannt, als “Ordnung der Dinge” empfunden wird – und also unangetastet bleibt. Bleiben kann (oder auch: Ungeprüft weiter gehen).
So etwas ist nur möglich, wo – wie eingangs erwähnt – nicht der Auslöser des Problems er- und anerkennen muss, selbst das Problem zu sein, und dass also er die Bewältigungs-Arbeit leisten muss, und nicht sein (potentielles) Opfer (es ist diese perfide Umkehrung der Wahrheiten und der Verhältnisse, immer und immer wieder).
Dasselbe Prinzip schlägt uns weiblichen Wesen übrigens aus den „Sicherheitstipps für Gitschn“ mit voller Wucht ins Gesicht. Ich weiß noch sehr gut, wie ich frohlockte, als meine Tochter diese kleine, pfiffige Broschüre nach Hause brachte. Endlich, dachte ich mir, endlich tut sich etwas, endlich werden Frauen, ihre Probleme, ihre Sorgen, ihre Ängste wahr- und ernstgenommen, in der Männerwelt, in der wir leben. Allein - meine Freude währte nicht lange. Denn das ist die falsche Richtung: Wrong person, wrong number. Und niemand merkt es.
Denn, noch einmal (es kann nicht oft genug gesagt werden): Die Frau ist nicht maßgeblich im Gewaltproblem, es wird nur so getan als ob.
Es wird Zeit, dass sich das ändert. Es wird Zeit, dass das Problem an seiner Wurzel angegangen wird, und nicht bei der Wirkung. Es wird Zeit, dass Buben und Männer lernen, begreifen und verinnerlichen, dass sie kein RECHT haben auf und über Frauen (übrigens nicht einmal dann, wenn sie dafür bezahlen, um etwas zu bekommen, das ihnen ohne Bezahlung verweigert würde.). Seit Menschengedenken, überall in der Welt, in der so genannten „zivilisierten“ ebenso wie in der anderen, sind es die Mädchen und die Frauen, die lernen (müssen), sich vor männlicher Gewalt zu schützen, sie saugen das quasi mit der Muttermilch auf, und was sie verinnerlichen ist, dass es völlig normal ist, sich ständig in Gefahr wähnen zu müssen. Das besonders Perfide daran ist, dass sie ja diese Gefahrensituationen niemals je gesucht und noch viel weniger heraus gefordert haben. Alles nur und ausschließlich, weil sie Mädchen (Frauen) sind.
Ich frage mich übrigens, was es wohl bedeuten und wie es sich auf Entfaltung und Entwicklung, die Psyche eines Menschen (hier gern auch: Mädchens) auswirken mag, wenn sie sich nie, ihr ganzes Leben nicht, wirklich und uneingeschränkt sicher fühlen kann.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Darüber sollten Männer nachdenken, und damit sollten sie sich konfrontieren, wenn sie über Gewalt reden: Mit sich selbst und ihresgeichen, und nicht über ihre Opfer. Das geht, dafür gibt es Vorbilder, und dafür gibt es Beispiele, aber sie scheinen sich nur sehr mühsam wenn überhaupt an die Oberfläche der Gesellschaft und in das Bewusstsein der allgemeinen Menschheit vorarbeiten zu können.
Ein starkes, ein machtvolles Beispiel ist die Geschichte von Tom Meagher (Irland), Journalist für „The Guardian“. Seine Frau Jill wurde erst vergewaltigt und dann ermordet, ein Trauma, das ihr Mann in seinem Artikel „Mythos vom Monster“ (https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/mythos-vom-monster) auf- und verarbeitet hat. Es gelingt ihm, in seinem Text das häufig verkannte oder jedenfalls kaum je an-erkannte Problem der sozialisierten, männlichen Gewalt (an Frauen, aber nicht nur) zu beschreiben, und zu benennen - ohne Pathos, ohne Zorn und ohne Selbstmitleid: So ist es, nicht mehr und nicht weniger. Meagher schreibt:
„(…) hatte ich mich lange vor einer viel beängstigenderen Einsicht geschützt – dass sie nämlich mit dem tiefsitzenden Sexismus und den fest verwurzelten Männlichkeitsvorstellungen sozialisiert werden, die unsere Gesellschaft durchdringen. Ich verließ das Gericht an jenem Tag mit dem Wissen, dass ich mir ein neues Bild vom gesellschaftlichen, institutionellen und kulturellen Kontext machen musste, in dem ein Mann [wie er] sozialisiert wird und lebt.“
Jackson Katz schlägt in dieselbe Kerbe, spielt aber in einer ganz anderen Liga. Katz ist einer der bekanntesten und engagiertesten US-Aktivisten in Frauen- und Gewaltbelangen. Er formuliert das Gewaltproblem – und dessen einzig mögliche, einzig nachhaltige Lösung - so:
http://www.youtube.com/watch?v=KTvSfeCRxe8&feature=youtu.be
Unter anderem fragt er, sich und andere:
„ (…) was für eine Rolle [spielen] (…) die verschiedenen Institutionen unserer Gesellschaft, die dabei helfen, misshandelnde Männer in pandemischen Dimensionen zu produzieren? Was für eine Rolle spielen religiöse Glaubensüberzeugungen, die Sportkultur, die Pornografie-Kultur, die Familienstruktur, die Wirtschaft und wie überschneiden sich diese, und Rasse und Ethnizität, und wie überschneiden sich diese? Wie spielt das alles zusammen? Wie können wir die Sozialisation von Jungen und die Definitionen von Männlichkeit ändern, die zu diesen aktuellen Ergebnissen führen?“
Ja. DIESE sind die Fragen, die und denen wir uns stellen müssen. Diese ist die Arbeit, die wir tun müssen.
PS: Ich lese gerade auf stol.it, Landesrat Achammer wolle ein Maßnahmenpaket zur Gewaltprävention ausarbeiten und vorlegen. Vielleicht hört er in dem Sinne ja (auch) dem Vortrag von J. Katz zu.
PPS: Wem’s zu anstrengend ist, den Vortrag in der englischen Originalsprache zu hören, der kann sich hier über den Transcript-Knopf die Übersetzung in die jeweilige Sprache zuschalten: http://www.ted.com/talks/jackson_katz_violence_against_women_it_s_a_men_s_issue/transcript
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