Auch Veranstalter bekamen kalte Füße und Sponsoren drohten auszusteigen, sodass die Gruppe Frei.Wild sich von einigen großen Konzerten „zurückziehen“ musste.
Wie gesagt, die Debatte wogte hoch und erfasste auch die Feuilletons großer deutscher Zeitungen, wo minutiös darüber debattiert wurde, wo die künstlerische Freiheit und die freie Meinungsäußerung ihre Grenzen haben und wo der Rechtsstaat auf den Plan treten müsse. Der deutsche Verfassungsschutz beobachtet die Gruppe und bestätigt rechtslastige Tendenzen, ohne allerdings davon auszugehen, dass die Grenze in Richtung Rechtsradikalismus bei den Konzerten überschritten wird.
In vielen Texten der Südtiroler Grölrocker findet man Anhaltspunkte für eine konservative Gesinnung und rechte Werte, Gestus und Attitüde, eine gehörige Portion Aggressivität im Auftritt und verschwitztes Macho-Gehabe tun ein Übriges dazu, diesen Eindruck zu erhärten. Dies stellt aber im Prinzip keinen Grund dar, der Gruppe die Auftrittsmöglichkeiten zu verweigern. Die Gruppe und ihr sehr cleveres deutsches Management hat sehr wohl erkannt, dass das Kokettieren mit rechten Werten ihr in das Kielwasser der sehr erfolgreichen Gruppe Böhse Onkelz verholfen hat, wo in Deutschland ein erhebliches und kommerziell gut verwertbares Fan-Potential zu finden ist. Das ist ein Spiel mit dem Feuer, das hier mit sehr viel Kalkül und Rafinesse betrieben wird.
So werden bei Frei.Wild-Konzerten Anti-Nazi-Transparente angebracht und es wird darauf geachtet, dass keine Fans in Neonazi-T-Shirts und Kleidung eingelassen werden. Zudem brüllt Leadsänger Phillip Burger vor: Nazis raus! Und die Hallen brüllen in der Regel mit.
Es sollte allerdings auch nicht vergessen werden, dass die Vorgänger-Gruppe von Frei.Wild, die Gruppe Kaiserjäger, eine ausgesprochene Naziband war und Burger leugnet auch nicht, dass er als Jugendlicher starke Sympathien für die Neonazi-Szene hatte, die damals in Brixen und in ganz Südtirol auch ziemlich stark wurde.
Wenn also diese Maßnahmen erforderlich sind, lässt es sich einfach nicht bestreiten, dass die Gruppe Frei.Wild eindeutig im rechtskonservativen Lager positioniert ist und diese Positionierung auch anstrebt. Dies wird durch Solidaritätsbekundungen der NPD und beispielsweise auch des Südtiroler Schützenbundes unterstrichen, der bei Frei.Wild von der Hochhaltung von Werten spricht, die für rechtskonservative gesellschaftliche Einstellungen typisch sind.
Ein weiteres Phänomen, das für die rechtskonservative Positionierung von Frei.Wild steht, war die blindwütige Reaktion aus Bandkreisen, als es vor sechs-sieben Monaten vermehrt zu Kritik an Frei.Wild kam und in den Social Media vor allem Philipp Burger selbst und einige Personen aus dem Bandumfeld sehr undifferenziert und primitiv die Kritiker und auch renommierte Journalisten, beispielsweise von der ZEIT oder der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG als linke Schreiberlinge, naive Gutmenschen und Neider beschimpften.
Berufene Leute haben das Phänomen Frei.Wild fachkundig analysiert, am Ende dieses Artikels wurden einige Verweise auf gut bestückten Doku-Seiten eingefügt.
Schließlich wurde die Gruppe, wie oben angeschnitten, von der Verleihung der ECHO-Preise ausgeladen, was für lang anhaltende Polemik in Deutschland sorgte. Ich würde den Ausschluss als Fehler bezeichnen, denn es ist das gute Recht aller Gruppen und Künstler auch durch Nichterscheinen ein Statement im gesellschaftspolitischen Bereich abzugeben. Etwas anderes ist es aber, wenn der institutionelle Rahmen ohne klare Kriterien und lediglich aus einer Art Panik heraus Entscheidungen trifft, die in keiner Weise durch das Reglement der Phono Akademie oder juristische Prinzipien gedeckt sind.
Aufrecht bleibt die Notwendigkeit und sogar die Pflicht, dass sich gesellschaftliche Gruppen und Menschen, die die Botschaften von Frei.Wild für unpassend und anstößig halten, die Debatte an der Oberfläche der Gesellschaft führen können und müssen und dass die Band, die rotzig und grob in die Auditorien hineinschreit auch mit Kritik umgehen können muss.
Abgesehen von den Schwierigkeiten, die Frei.Wild nun bei ihren Deutschland-Aktivitäten haben, wirft die ganze Debatte für mich vor allem ein Schlaglicht auf die gesellschaftspolitische Situation in Südtirol.
Es war und ist teilweise amüsant, teilweise irritierend und teilweise nachgerade schockierend, wie Teile der Südtirol Gesellschaft mit dem offensichtlichen Erfolg der Gruppe Frei.Wild und der Debatte um deren Rechtslastigkeit umgegangen sind und umgehen. So bringt sich der Brixner Bürgermeister Albert Pürgstaller vor Freude über den Erfolg der Brixner Jungs fast nicht mehr ein und die Plose-Seilbahn hat zwei Frei.Wild-Kabinen anfertigen lassen, in denen die Skifahrer entsprechend beschallt werden. Als dann der Gegenwind zunahm, gab es breite und unreflektierte Rückendeckung für die Musiker und es ging sogar soweit, dass der in Südtirol arg überstrapazierte Opfermythos neue Nahrung bekam und dass man sich schon deshalb hinter die Buben stellen müsse, weil ihnen der Erfolg nicht gegönnt wird.
In Deutschland wird die Debatte auf hohem Niveau geführt. Das Land hat einen enorm breiten und beispiellosen Aufarbeitungsprozess des Nationalsozialismus hinter sich und geht sehr entschlossen mit dem offenkundig wieder stärker Zulauf erhaltenden Neonazismus um. Die NSU-Morde haben ein Übriges dazu getan.
In Südtirol geht es einige Stufen primitiver zu und der Streit um die Gruppe Frei.Wild hat mir wieder einmal gezeigt, dass unsere Gesellschaft keinen hohen Reifegrad aufweist und dass eine differenzierte Debatte nur sehr schwer möglich ist. Blindwütige Aggression und Ausgrenzung von Kritikern sowie die Verharmlosung bedenklicher Aussagen gehen Hand in Hand, es gibt nur Freunde oder Gegner und die Gegner die müssen – so hört und liest man auch in den Texten von Frei.Wild – mit aller Härte, die einem rauen Macho möglich ist, bekämpft werden.
Das ist keine gute Grundlage für eine gedeihliche gesellschaftliche Entwicklung. Der deutschsprachige Teil der Gesellschaft der Watt- und Speckrepublik hat wieder einmal bewiesen, dass er zum allergrößten von einem penetranten Rechtskonservativismus durchdrungen ist.
Weiterführende Doku auf www.zigorimedia.wordpress.com
Kommentar schreiben
Zum Kommentieren bitte einloggen!Kommentare