In besonders wichtigen Fragen kann das griechische Parlament solche Volksabstimmungen ansetzen. Jetzt, wo ihm das Wasser zum Hals steht, wagt Tsipras die Flucht nach vorn und ordnet das an, was 2011 der damalige Ministerpräsident Papandreou ankündigte, doch unter dem Druck der EU schnell wieder fallen ließ. Eine weitere Runde im Poker zwischen Brüssel und Athen, sicher nicht geeignet, der Tsipras-Regierung international mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen.
Es ist das klassische Plebiszit, der von oben angeordnete Volksentscheid, obendrein im Feuerwehrtempo. Eine Regierungsmehrheit will die Verantwortung für eine gravierende Entscheidung nicht alleine tragen, sondern das Volk direkt entscheiden lassen. Eigentlich legitim, doch es findet unter denkbar schlechten Bedingungen statt. Zwar diskutieren die Griechen seit über fünf Jahren über Finanzpolitik, aber den genauen Inhalt des letzten Auflagenpakets der Troika, seine Tragweite und Implikationen kann man nicht im Hauruckverfahren allen erklären und in Ruhe abwägen. Obendrein ruft Tsipras selbst zur Ablehnung auf. Ein echte, faire öffentliche Diskussion über eine so wichtige Frage lässt sich nicht in fünf Tagen durchziehen. Die Qualität einer Entscheidung hängt von der Qualität des Verfahrens ab, der zur Entscheidung führt. Tsipras hätte die Idee früher einbringen sollen, nicht um 5 vor 12.
Zudem gehört Griechenland, obwohl Wiege der Demokratie, zu den Schlusslichtern bei der Regelung und Anwendung von Volksabstimmungsrechten in ganz Europa. Die eigentliche Volksinitiative und das bestätigende Referendum gibt es nicht. Die Bürger selbst können also nichts zur Abstimmung bringen. Die letzte Volksabstimmung fand 1974 statt, als die Monarchie abgeschafft wurde. Im 20. Jahrhundert gab es in Griechenland nur sieben Volksabstimmungen, immer drehte es sich um die Regelung der Monarchie.
Dabei hätte ein Land mit einem so ausgeprägten Klientelismus und ineffizienten Staatsapparat wie Griechenland mehr Kontrollrechte der Bürger absolut nötig. Wie in Italien war es auch in Griechenland eine Elite aus zwei mächtigen Parteien, verfilzt mit mächtigen Interessengruppen, die sich den Konsens der Wählerschaft auch über überzogene schuldenfinanzierte öffentliche Ausgaben sicherten. Ein funktionsfähiges Steuersystem aufzubauen, war für die griechischen Parteien bisher keine Priorität, auch nicht für SIRYZA. Laut NZZ treibt die Verwaltung nur 56% der geschuldeten Steuern überhaupt ein. Soeben meinte Varoufakis, eine höhere Mehrwertsteuer, wie von der Troika gefordert, sei schon sinnvoll, sie tatsächlich einzukassieren sei das Problem. Es ist ein bitterer Lernprozess, den die Griechen jetzt mit oder ohne Euro durchmachen müssen, nämlich dass für stabile öffentliche Finanzen eben alle mit ihren Steuern beitragen müssen. Echte direktdemokratische Kontrollrechte von unten und auf allen Ebenen können dies nur unterstützen.
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