Ich weiß noch sehr gut, wie ich unsere politische Situation und Lage und das ganze Land insgeheim verfluchte, was soll ich sagen, ich war jung, und mir wünschte, es möge doch endlich jemand Ordnung und klare Verhältnisse schaffen, damit das Leben einer Südtirolerin im fremdsprachigen Ausland nicht gar so kompliziert sein möge.
Dreisprachige Provinz in Northern Italy mit Dolomites
Die Jahrzehnte vergingen, und heute weiß man fast überall, was und wo Südtirol ist, und die paar Fleckchen, wo das noch nicht so ist, dort hängt man dann noch ein „Dolomites“ dran an das dreisprachige Südtirol in Northern Italy und schon erhellt sich die Miene des Gegenübers in Erkenntnis und Verständnis. Ja, das sind Momente, in denen ich richtig stolz darauf bin, Südtirolerin zu sein, und ich bin all den vielen Menschen unendlich dankbar, denen es gelungen ist, ein wenig Ordnung zu schaffen in unseren Verhältnissen und dafür zu sorgen, dass wir nicht mehr lange erklären müssen, wer wir überhaupt sind und warum, sondern dass wir schlicht und einfach stolz sein können auf uns. Denn ja, ich bin sehr stolz auf uns, nicht immer, aber immer öfter, zum Beispiel dann, wenn all den anderen, nur mutter- und nicht auch vatersprachlichen Menschen der Unterkiefer aufklappt bis zu den Fußknöcheln angesichts der Mühelosigkeit, mit der wir von einer Sprache in die andere wechseln, und ich hebe geradezu ab vor Stolz, wenn ich mal wieder bemerke, wie überaus erfolgreich wir uns doch das Beste aus zwei grundverschiedenen Kulturkreisen angeeignet und etwas äußerst Interessantes und auch ein bisschen Neues, so jedenfalls noch nie da Gewesenes, erschaffen haben, und ich liebe es regelrecht, in Baustellen im Stau zu stehen und mir die Wartezeit mit Grübeleien darüber zu vertreiben, warum dieser Satz oder jenes Wort auf den Bau-Informationstafeln so und nicht anders übersetzt wurde, und dann wäre da noch, nicht zuletzt, dass ich sie doch tatsächlich öde finde, fast schon deprimierend, die eintönige Einsprachigkeit überall und allenthalben, kaum dass ich die Grenzen unserer Provinz nach Süden oder nach Norden verlassen habe.
Ein bisschen Frieden
So habe ich mir also meine ganz eigene kleine Identität geschaffen, wenn ich das mal so sagen darf, eine, mit der ich glücklich und zufrieden bin und die mich stolz macht, und von der ich denke, dass sie für immer ist, doch dann kommt Salto auf die Welt und bringt die meine ganz gehörig ins Wanken: Selbstbestimmung hier, Sezession da, neue Grenzen, keine Grenzen, und so erschreckend viele Menschen, die erschreckend ernsthaft darüber sprechen, nicht nur Eva Klotz mit ihren Getreuen, und als wäre all das nicht schon genug der Unruhe, erscheint auch noch eine Alpenregion am Horizont, die dann aber doch, wie sich bei näherem Betrachten herausstellt, keine richtige Alpenregion ist, weil sie nur von Trient über Südtirol bis nach Tirol und ein bisschen, glaube ich, nach Deutschland und in die Schweiz reicht, aber die Alpen, die berühren ja noch mehr, wenn ich nicht irre, die hören nach links erst bei Frankreich und nach rechts erst bei Slowenien auf.
Sollte es denn das also schon wieder gewesen sein, mit dem so mühsam gefundenen Gleichgewicht, dem bisschen Ruhe? Soll das etwa schon wieder losgehen? Und dabei war das bisschen Frieden doch so schön, einfach nur ein bisschen Frieden und dazu Zeit und den Willen, die Räume unseres Hauses noch ein bisschen schöner zu machen.
Denn ja, ich finde nämlich wirklich und wahrhaftig, es ist ein sehr schönes Haus, unser Südtiroler Haus, eines mit Ecken und Kanten, eines mit Macken und seinen Tücken, hier zieht’s ein bisschen und dort muss mehr Licht rein, aber alles in allem ist es ein wunderbares Haus, so, wie es ist. Es kann noch schöner werden, selbstverständlich, und das eine oder andere Zimmer bedarf vielleicht sogar einer gründlichen Renovierung, denn nichts ist perfekt was von dieser Welt ist, hier eine Erweiterung und dort eine Verbesserung wäre womöglich sinnvoll, und sogar die eine oder andere tragende Wand oder Säule braucht’s so vielleicht nicht mehr… aber die Fundamente, das Haus als solches, an denen wäre doch schön, wenn nicht gerüttelt würde.
Und Italien?
Ja, natürlich, Italien. Ich weiß jetzt gar nicht, ob man so etwas überhaupt sagen darf, als Südtirolerin, und noch dazu heutzutage, und hier auf Salto, aber es ist halt die Wahrheit: Ich mag auch Italien, und ja, ich bin sogar ein bisschen stolz darauf, zu Italien zu gehören. Denn Italien ist ja nicht nur Bunga Bunga und Berlusconi und Misswirtschaft, Italien ist auch - vor allem? - Kunst und Kultur, ist fantastische Menschen, grandiose Natur, Berge und Meer, ist köstliches Essen und bestes Trinken und so vieles mehr und ja, der ganze triste Rest gehört halt auch dazu, und doch bin ich immer noch eine stolze Südtirolerin, die gern zu Italien gehört.
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