Flughafen JA, Flughafen NEIN?
Halt! Das ist schon mal die falsche Frage. Abgestimmt wird über eine 5-Jahres-Frist, wo der Flughafen zeigen soll, dass er auch betriebswirtschaftlich funktionieren könnte. Auch wenn das JA gewinnt, kann es nach 5 Jahren schon schnell wieder vorbei sein. Denn dann steigt das Land bei Nicht-Erreichung der Ziele auch endgültig aus. Also muss die richtige Frage lauten: „Geben wir dem Flughafen eine 5-Jahres-Chance?“
Aber auch das ist noch nicht die beste Frage. Weiterer Vorschlag. Wie wäre es mit: „Brauchen wir einen Flughafen?“ Das kommt der Sache schon etwas näher. Wobei bei genauerem Hinsehen auch diese Frage wieder gemein ist und ihre Tücken hat. Denn wer ist „wir“? Wer sind „die anderen“? Es gibt sie, die meinen ihn zu brauchen. Teile der Wissenschaft, Teile des Tourismus, Teile der Industrie, Teile der Politik. Nur um die Wichtigsten zu nennen. Sollen wir denen die Chance auf einen funktionierenden Flughafen verwehren? Warum? Weil die Flieger Lärm machen? Weil sie Co2-Emissionen ausstoßen? Weil der Flughafen Grund verbraucht? Weil wir sie nicht mögen? Weil wir in Südtirol mit so vielem unzufrieden sind und die vermeintlich Schuldigen bestrafen wollen? Weil wir glauben zu wissen, wie es wirklich läuft auf dieser Welt?
Ich tue mich mit einer Antwort auf all diesen Fragen extrem schwer. Zugegeben, eine Entscheidung wie ich am 12. Juni abstimmen werde, habe ich vorerst schon mal getroffen (Ausgang meiner persönlicher Abstimmung: 55% zu 45%), aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja noch. Am Ende des Textes werde ich sie auch bekannt geben. Wer also nicht über meine Überlegungen nachdenken möchte und schon seine Meinung gefestigt hat, kann den Rest dieses Textes überspringen und mich gleich beschimpfen oder loben.
Warum tue ich mich so schwer? Weil ich nicht weiß, was ich gegeneinander abwägen soll. Natürlich wäre eine Welt ohne CO2-Emissionen besser dran. Anderseits kann man Flüge auch CO2-neutral kompensieren. Ich fliege sehr wenig, wenn dann hauptsächlich geschäftlich und nur wenn es nicht anders geht. Eine Kompensation ist möglich für wenig Geld. Erst kürzlich innereuropäisch für zusätzliche 9 Euro, mit einem guten Zertifikat von climate partner. Natürlich, wenn jeder Urlaub unbedenklich kompensiert wird, hat das auch seine Schattenseiten und meine Familie muss schon länger damit leben, nicht mehr so leichtfertig in den Urlaub fliegen zu können. Doch auch hier kommt gleich die nächste schwierige Abwägung: Würden wir den vielen Ländern, die sich mit dem Tourismus einen starken Export gesichert haben, nicht auch Schaden antun? Viele arme Länder leben vom Tourismus, Gesellschaften haben sich dadurch sozial zum Besseren entwickelt. Gegen die leider auch bestehenden Schattenseiten kämpft der „sustainable tourism“ täglich für bessere ökologische und soziale Bedingungen und für Verständnis der Kulturen. Was hat das mit dem Flughafen Bozen zu tun? Vielleicht wenig, vielleicht viel. Für mich ist es eine Botschaft, nicht nur das Detail zu sehen. Sondern die Flughafenthematik in einem Gesamtkontext zu betrachten.
Oft heißt es: Machen wir doch professionell funktionierende Shuttle-Dienste zu den Flughäfen rundherum. Lange war ich derselben Meinung. Doch was heißt das eigentlich konkret? Dass die anderen den Dreck haben sollen und wir nur den Nutzen? Sogar wenn man das möchte, ist es ein Trugschluss. CO2-Emissionen lassen sich nicht in eine Ecke der Welt verschieben, deshalb ist es ja auch möglich, sie weltweit zu kompensieren.
Ein Flughafen gehört heutzutage für mich zu einem Mobilitätsmix (noch) dazu. Einiges kann man machen um umwelttechnisch gegen zu steuern, alles wird nicht gehen. Ohne wird der Wohlstand in Südtirol nicht zusammen brechen, aber er würde sicherlich dabei helfen, ihn zu erhalten. Das Fliegen selbst wird nur aufhören, wenn das Öl zu teuer wird und keine Alternativantriebe gefunden werden. Und dieser Frage können wir sowieso nicht mehr länger ausweichen. Auch wenn der Peak Oil schon 2006 gewesen ist, mit unkonventionellem Öl kommen wir noch einige Jahrzehnte. Dann gilt es, so oder so.
Bis zum 12 Juni sollten wir uns hüten, mit Einzelargumenten die Gesellschaft zu spalten. Wir sitzen doch alle schon wieder in unseren Schützengräben und feuern mit vermeintlich besseren Argumenten auf die andere Frontlinie. „Es ist mit unseren Urteilen wie mit unseren Uhren. Keine geht mit der anderen vollkommen gleich, und jeder glaubt doch der seinigen“ (Christian Füchtegott Gellert). Ein richtiger Dialog, der auch Spielregeln hat, findet in Südtirol nicht statt, wobei interessanterweise jede Seite das Recht für sich behauptet für einen Dialog offen zu sein.
Doch warum? Die Politik hätte dieses Mal (bis jetzt) doch alles richtig gemacht. Die Voraussetzungen sind dieses Mal doch wirklich anders:
- Der Landeshauptmann hat vor der Wahl die Volksbefragung versprochen, sie nachher angesetzt.
- Hat ein transparentes Business-Konzept vorgelegt und die Pfeiler markiert. Ob einem die gefallen oder nicht, ist irrelevant. Schließlich haben wir diese Menschen in die Politik gewählt und dann haben sie auch das Recht, ihren Vorschlag zu machen.
- Obwohl sie vom Flughafen überzeugt sind, hält sich die Politik erstaunlich zurück. Natürlich werben sie persönlich dafür (oder wollen wir lieber Politiker die gar keine Meinung mehr haben?), aber sie übertreiben es nicht dabei.
- Es gibt klare Aussagen was bei einem JA und was bei einem NEIN passiert. Die Folgen sind für alle in einfachen Sätzen nachlesbar.
- Es gibt kein Quorum, der härteste Faktor. Egal was abgestimmt wird, es gilt. Das ist vor allem deshalb hart, weil die vielen Uninteressierten somit entscheidendes Gewicht bekommen. Ich möchte nicht in einer Demokratie leben, wo einige wenige über viele entscheiden dürfen. Das ist es nicht, was ich mir unter gelebter direkter Demokratie vorstelle.
Nachhaltigkeit hat nicht nur mit weniger CO2-Emissionen oder mit weniger Lärm zu tun, sondern auch mit Respekt vor der Meinung anderer Menschen. Man muss sie deshalb nicht immer teilen. Aber heutzutage biegt sich jeder die Nachhaltigkeit doch gerne so zurecht, dass sie in sein Weltbild passt. Doch die wirkliche Nachhaltigkeit ist immer ein Ringen um den besten Kompromiss. Sie ist immer eingebunden und hängt ab vom bestehenden System, das manchmal auch ein enges, unbequemes Korsett ist. Und allen Nachhaltigkeitsexperten möchte ich ganz deutlich zurufen: Nachhaltigkeit hat drei Säulen, nicht zwei: Die Ökonomie gehört als dritte Säule auch dazu. Doch die Ökonomie wird von vielen immer gerne vergessen. Sie wird verschwiegen, sogar in manchen sogenannten Nachhaltigkeitszertifikaten kommt sie sträflicherweise gar nicht vor. Doch sie gehört genauso dazu. Das ist nicht immer einfach, aber der einzige Weg.
Diesen Text schreibe ich von einem Café in einem europäischen Flughafen. Auf einem Kongress habe ich Menschen aus aller Welt getroffen, die sich vernetzen möchten, die gemeinsam erfolgreich sein möchten, die bewegen möchten. So eine Begegnung der Kulturen ist nicht möglich wenn Menschen nicht in einen Flieger steigen. Für eine weitere Verbreitung und Anerkennung des „sustainable tourism“ muss ich bald nach Ägypten und in den Iran. Ob ich meinen (kompensierten) Flug wieder von Verona, Innsbruck oder München aus nehme wird sich zeigen, vielleicht fliege ich dieses Mal vom Flughafen Bozen aus.
Meine Stimme zum 5-jährigen Testlauf bekommt er.
Klaus Egger
Bozen, 12/03/2016
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