Die heutige Eröffnung des Gotthardtunnels ist ein epochaler Erfolg der Schweizer Verkehrspolitik. Nicht nur die Schweiz wird dadurch entlastet, sondern auch der transalpine Transitverkehr insgesamt nachhaltig beeinflusst. Es öffnen sich neue Chancen, den Umwegverkehr abzubauen.
Die Schweizer werden mit diesem längsten Eisenbahntunnel der Welt einen beträchtlichen Anteil des LKW-Verkehrs über den Gotthard auf die Schiene verlegen können, allerdings zu höheren Gebühren. Das ist ganz im Sinn des Verursacherprinzips, wenn der LKW-Transit gleichermaßen gesteuert werden kann. Für die heutigen Nutzer des Gotthards ist diese Route heute schon der beste, also kürzeste Weg. Anders gesagt: der Gotthard hat fast keinen Umwegverkehr im Unterschied zum Brenner. Das Problem liegt somit darin, dass hunderttausende LKW jährlich einen Umweg wählen, weil die Schweiz eben teurer ist.
Ganz anders sieht dies am Brenner aus, wo laut Jahresbericht „Verkehr in Tirol 2011“ nur 45% des Güter-Transitverkehrs damit den besten Weg nimmt. 2009 waren 27% des Güterverkehrs über den Brenner Umwegverkehr, 28% Mehrwegverkehr. 55% der LKW über den Brenner nehmen für diese Route einen mindestens 60 Km langen Mehrweg in Kauf, weil sie Kosten sparen, auf der anderen Seite aber damit die Umwelt über Gebühr belasten. Würde der LKW-Transit nach dem Bestwegprinzip (kürzeste Route) gelenkt, wie Verkehrsexperte Claudio Campedelli hier aufzeigt, müsste der Gotthardpass 63% mehr Verkehr aufnehmen, der Brenner könnte 29% des heutigen LKW-Verkehrs abgeben.
Mit der heutigen Eröffnung des Gotthard-Tunnels ist erstmals die technische Kapazität vorhanden, einen ganz erheblichen Teil des Brenner-LKW-Transits auf den Bestweg zu lenken, nämlich über die Schweiz und zwar umweltfreundlich auf der Bahn. Das Verlagerungspotenzial ist enorm, denn der Brenner-LKW-Transit könnte allein dadurch um ein Drittel gesenkt werden.
Wird der neue Gotthard-Tunnel diese Verlagerung bewerkstelligen können? Wird dieses Jahrhundertbauwerk eine gesamtalpine Bestweg-Strategie einleiten und dadurch andere Röhren überflüssig machen? Nur wenn die Verkehrspolitik lenkend eingreift, könnte eine solche Rechnung aufgehen, unterstreicht auch Campedelli. Das Verkehrsabkommen EU-Schweiz erlaubt nämlich der Schweiz, den LKW-Verkehr streng zu deckeln und in den Bahntunnel zu zwingen. Genau diese politische Kernvorgabe fehlt heute beim Brennertransit und für den zukünftigen BBT. Wenn der LKW-Transit in ökologisch verträglichem Maß nach Schweizer Muster gedeckelt würde und beim Güterverkehr auf allen zentralalpinen Transitbahnstrecken (Gotthard, Brenner, Tauern) dieselben Kosten und Gebühren pro Kilometer anfielen, würde der Umwegverkehr automatisch reduziert. Bei der Bahn gibt es keine Maut- und Treibkostenvorteile, die heute hunderttausende LKW auf einen Umweg über den Brenner locken.
In einer zwischen den Alpenländern abgestimmten Strategie kann die Bahn kostengünstiger werden, die Bemautung hingegen teurer, um den Frächtern mehr Anreize bieten, den Bestweg zu wählen. Interessant ist dabei, dass mit dem neuen Gotthard-Tunnel die bestehenden Transportkapazitäten über die großen Alpentransversalen leicht ausreichen, um den alpenquerenden Güterverkehr aufzunehmen, und zwar auch ohne BBT. Eine Verkehrspolitik mit Weitblick müsste an die Bestwegstrategie anknüpfen und den Güterverkehr entsprechend lenken. Das wäre ökologisch, aber auch ökonomisch vernünftiger.
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