Am 22. Mai 2013 lud Markus Lobis wieder zum OstWest-Zigoriclub in die Meraner Passeirergasse. Diesmal war der Politikwissenschaftler und Journalist Univ. Prof. Günther Pallaver zu Gast und diskutierte mit den Anwesenden über die jüngere Südtirolpolitik.
Da nur wenige Tage vorher die Schützen durch Meran marschiert waren, nahm auch das Thema der Selbstbestimmung einen breiten Raum ein. Günther Pallaver betonte, dass ein Selbstbestimmungsrecht für Südtirol völkerrechtlich gar nicht besteht und dass die Selbstbestimmungsdiskussion eine Argumentation des 19. Jahrhunderts, nämliche eine nationalstaatliche ist. Im Europa des 21. Jahrhunderts gehe es vielmehr um die Überwindung der nationalen Grenzen und nicht um deren Verschiebung.
Wichtiger sei es, die Autonomie weiterzuentwickeln. Dabei gehe es nicht darum, die Autonomie durch weitere Kompetenzen zu vergrößern, sondern sie nach innen zu erweitern. Besonderes Augenmerk müsse dabei auf den Ausbau der Demokratie im Lande gelegt werden. In einer erweiterten Autonomie müsse z.B. der Bozner Zentralismus verkleinert und die lokalen Körperschaften in ihrer Mitsprache gestärkt werden.
Dieser Bozner Zentralismus, der quasi den römischen ersetzt hat, ist nach Pallaver auch einer der wesentlichen Gründe, warum der SEL-Skandal solche Ausmaße annehmen konnte. Der zweite wesentliche Grund für die SEL-Affäre sieht er im CSU-Effekt: das Regieren der selben politischen Seilschaften über Jahrzehnte hinweg gepaart mit unzureichender politischer Kontrolle. So sei es auch nicht verwunderlich, dass der alte SEL-Verwaltungsrat vorwiegend aus einer illustren Jägerrunde bestand.
Der Bozner Zentralismus hat den römischen ersetzt. Die Demokratisierung nach “innen” ist die große Herausforderung bei der Weiterentwicklung der Südtiroler Autonomie.
Markus Lobis wollte denn auch wissen, wie der Politikwissenschaftler die historische Rolle von Landeshauptmann Durnwalder einschätze. Pallaver erläuterte die diversen politischen Leaderkonzepte und stellte die Frage in den Raum, ob Durnwalder ein politischer Leader, ein charismatischer Politiker oder ein politischer Manager sei. Pallaver kam zum Schluss, dass letzteres auf Durnwalder zutreffe. Sobald er seine institutionelle Rolle verliere, würde die Macht von LH Durnwalder implodieren und in diesem Sinne sei dieser, trotz einiger unbestrittener Verdienste, austauschbar. Ein ca. zehnminütiger Gesprächsmitschnitt zur politischen Beurteilung Durnwalders, ist in diesem Video zu hören:
Einen breiten Raum des fast zweistündigen Gesprächs nahm das Thema Zusammenleben der Sprachgruppen ein. Pallaver ist in Branzoll aufgewachsen und lebt sozusagen an der sprachlichen Nahtstelle. Daher hat er bereits von Kindesbeinen an eine besondere Sensibilität entwickelt. Politisch setzt Südtirol auf ein dissoziatives, also trennendes, Konfliktlösungsmodell um die Sprachgruppen zu befrieden. Am meisten fand diese politische Haltung Ausdruck in der Ausage von LR Zelger: „Je klarer wir trennen, desto besser verstehen wir uns“.
In den letzten Jahrzehnten zeichnet sich aber ab, dass die Bevölkerung von unten gegen dieses Modell Druck macht; z.B. indem Familien ihre Kinder in die Schule der anderen Sprachgruppe schicken. Auch gibt es immer mehr sprachgruppenübergreifende Vereine. Pallaver drückte das so aus: „Die kranken Körper sind in Südtirol mittlerweile ethnisch vereint: Parkinson-, Krebs- und andere Patientenvereinigungen schauen heute nicht mehr auf die Sprachzugehörigkeit.“ Die Südtiroler Gesellschaft werde trotz Schützenaufmärschen durchlässiger, auch wenn dies ein Prozess ist, der sehr langsam vor sich geht.
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Benno
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