Herr Wimmen, Sie haben im Februar 2012 davor gewarnt, eine humanitäre Intervention in Syrien mit geopolitischen Zielen zu verknüpfen. Nun versucht Deutschland eigentlich genau das: In Syrien zu intervenieren, aber eben nicht militärisch, sondern, in einer Art von Arbeitsteilung mit Verbündeten, indem andere Waffen liefern, und Deutschland humanitäre Hilfe leistet.
Nun, es gibt die rein humanitäre Dimension des Ansatzes, zu sagen, wenn jetzt die Leute in ar-Raqqa (einer Provinzhauptstadt im Nordosten Syriens, Anm.d.Red.) oder sonstwo ihr Leben in die eigene Hand nehmen, dann ist das eine feine Sache, und das wollen wir fördern, auch um die zivile lokale Verwaltung zu stärken gegenüber den militärischen und Gewaltakteuren.
Genauso versucht das Auswärtige Amt derzeit, die Opposition dadurch zu unterstützen, dass in den ‚befreiten Gebieten’ die Versorgung mit Lebensmitten und die lokale Verwaltung gestärkt wird. Aber werden die Nicht-Regierungsorganisationen, die mit Geldern des Auswärtigen Amts dort arbeiten, so nicht instrumentalisiert?
Ich glaube nicht, dass die humanitären Organisationen wie etwa die Welthungerhilfe sich diese Frage stellen muss. Jemanden vor dem Verhungern zu bewahren, ist ein Wert an sich. Und dass andere Akteure im Windschatten des Humanitären ihre eigenen Ziele verfolgt, kann man so einer NRO nicht anlasten: Selbst wenn die Welthungerhilfe nicht mitmachen würde, würden jene anderen Akteure ja trotzdem ihre Ziele verfolgen.
Nun kann aber auch diese Art von Intervention weitreichende, und möglicherweise unerwünschte, Folgen nach sich ziehen?
Die humanitäre Hilfe wurde schon relativ früh zusammengedacht mit der parallelen Überlegung der Etablierung einer provisorischen Regierung und dem Aufbau von Legitimität für eine provisorische Regierung, wo immer sie auch sitzen mag, in Syrien oder außerhalb.
Sie sehen diese Art des Nation-Building eher pessimistisch?
Man muss sich darüber im klaren sein, dass, wenn man parallele Staatstrukturen aufbaut und auf eine Zentralisierung drängt, sei es nur aus pragmatischen Gründen, damit man einen Ansprechpartner, etwa die Nationale Koalition hat, dass man damit letztendlich die Aufteilung des Landes in Machtbereiche verschiedener Warlords unterstützt. Und selbst wenn zum Beispiel die Nationale Koalition völlig demokratisch wäre, gut, dann könnte man argumentieren, dass so zumindest eine Hälfte oder ein Drittel von Syrien ein demokratischer Teilstaat geworden ist. Aber realistisch ist es nicht. Warlord-Strukturen sind niemals demokratisch und Kriegssituationen sind in der Regel nicht gut für transparente demokratische Entscheidungsprozesse.
Ist ein Zerfall Syriens unausweichlich?
Es ist eines der wahrscheinlicheren Szenarien, dass das Land in drei oder vier Teile auseinanderdriftet. So würden verschiedene Regionen unter der Herrschaft von Gewaltakteuren entstehen, die vielleicht nebenher auch noch politische Strukturen haben, und die sich soweit stabilisieren, dass die Konfliktintensität ein Stück zurückgeht. Dann irgendwann, wenn sich die regionale Gemengelage verändert hat, können sie sich vielleicht wieder an einen Tische setzen, und eine Form von Föderation zu Stande bringen können.
Heißt so ein Zerfall Syriens nicht auch, dass die Grenzen aus der Kolonialzeit wieder in Frage gestellt werden? Dass man, im Fall Syriens, wieder wie im osmanischen Reich einen Drusenstaat hier, einen Alawitenstaat dort hat?
Ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass internationale Grenzen verändert werden. Und es gibt auch keinen Weg zurück vor 1917. Die Ethnisierung des Konflikts, die Konfessionalisierung, das ist Teil des 21. Jahrhunderts. Davon abgesehen, ich glaube nicht, Syrien in rein konfessionelle Gebiete zerfallen wird. Je nachdem, wie ausgeprägt islamistisch die Oppositionsgebiete sein werden, werden dort vielleicht auch viele Sunnis nicht wohnen wollen. Als Christ ist man ja unter Umständen in einem fundamentalistisch-islamischem Regime besser dran denn als liberaler Muslim. Und dass Alawiten irgendwo leben werden können, wo die Opposition an der Macht ist, halt ich für unwahrscheinlich.
Der einzige Ansatz, der einen Zerfall Syriens noch aufhalten könnte, wäre demnach ein verhandelter Ausgleich unter Einbeziehung regionaler Akteure?
Das versuchen die USA ja derzeit im Rahmen der Genfer Konferenz. Nur sehe ich die Gefahr, dass Genf 2 den Fehler von Genf 1 wiederholt, dass sich also die USA zwar mit Russland auf etwas einigen, aber diejenigen, die eigentlich direkt auf die Ereignisse vor Ort einwirken, nämlich Saudi Arabien, Iran, dass die nicht mit am Tisch sitzen, und es deshalb auch nicht umsetzen. Erinnern wir uns an die libanesische Geschichte: Wie viele Waffenstillstände gab es im Libanon in 15 Jahren Bürgerkrieg? So lange der Grundkonflikt nicht gelöst ist, solange die regionale Akteure, die diesen Konflikt befeuern, und da eigentlich ganz andere Konflikte austragen, keinen Grund haben, ihre Kalkulation zu ändern, so lange wird auch kein Waffenstillstand halten.
P.S. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin ist ein von der deutschen Bundesregierung finanziertes Politik-Forschungs und -beratungs-Institut.
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