Ein starkes Planungswerk
Noch nie verfügte Südtirol über ein derart umfassendes, fundiertes und konkretes Planungswerk in Sachen Mobilität: Erfassung des Ist-Zustands, schlüssige Zielformulierung, breite Palette an Maßnahmen und Projekte, Kohärenzanalyse, SUP-Umweltbericht, Verträglichkeitsprüfung und weitere Elemente. Das am 20. Juni von der Landesregierung beschlossene, über 400 Seiten starke Dokument legt größtes Gewicht auf den Ausbau der Bahn, auf die Stärkung des Fußgänger- und Fahrradverkehrs, auf nicht-fossile Antriebsenergieträger, auf intermodale Knoten und Digitalisierung. Nur die vielen Straßenbauvorhaben werden diskret ausgespart, die immer noch die Mehrheit der Haushaltsmittel des Landes für Verkehrsinfrastrukturen verschlingen. Wenn die Vorhaben und Maßnahmen des LPNM 2035 umgesetzt werden, sind wir 2035 der „Nachhaltigkeit“ wesentlich näher, aber mit nur geringfügig weniger motorisiertem Verkehr. Wir werden uns in 12 Jahren mehr nach menschlichem Maß bewegen mit weniger CO2-Emissionen, doch immer noch weit entfernt von Klimaneutralität.
Keine Mengenreduktion weder auf der A22 noch beim touristischen Verkehr
Das gilt vor allem für den Gütertransport auf der Brennerachse und mag erstaunen. Bis 2030 wird der Güterverkehr auf der Straße um +0,3% zunehmen, bis 2040 soll er trotz Inbetriebnahme des BBT 2032 um nur -10,7% abnehmen. Der Bahn-Güterverkehr über den Brenner wird laut Annahmen sich bis 2040 dank BBT gar verdreifachen (+215%). Insgesamt wird eine Zunahme des Güterverkehrs über den Brenner bis 2040 um 39,5% erwartet. Der BBT bringt somit eine nur bescheidene Entlastung von Verkehrswegen, Umwelt und Klima, wenn man bedenkt, wieviel dieses gigantische Bauwerk kostet. Er dient im Kern nur dafür, dass erhebliche Wachstum im Güterverkehr aufzufangen. Insgesamt wird unser Land aber noch stärker zum Nord-Süd-Transit-Kanal, der klimaschädliche Umwegtransit bleibt. Denn Millionen Tonnen für Millionen Kilometer sinnlos (Umweg) zu bewegen, wird auch mit H2-Antrieb nicht klimafreundlich.
2040 werden also immer noch 2,3 Millionen LKW die Brennerroute (2022: 2,48 Mio) nutzen und nur ein kleinerer Teil der Waren wird dann dank „Brenner Green Corridor“ mit Wasserstoff-LKW oder mit E-Lkw herumgekarrt. Dabei belastet der LKW-Transport nicht nur durch CO2-Emissionen, sondern auch durch Reifenabrieb, Lärm, Stickoxid und Straßenverbrauch. Der LKW-Transport verursacht pro Tonnenkilometer 15 Mal so viele Treibhausgase wie der Transport auf der Bahn, schreibt Madeleine Rohrer (FF Nr. 15/2023). Die denkbaren Maßnahmen zur mengenmäßigen Beschränkung des Güterverkehrs – von der Transitbörse über die Mauterhöhung bis hin zu Fahrverboten – finden im LPNM keinen Niederschlag.
Touristischer Verkehr wird kaum angetastet
Wie das Mengenwachstum der durch Südtirol geschleusten Güter quasi als Naturgesetz gesetzt wird, so wird auch beim Tourismus kein Szenario mit weniger touristischen Anreisen gebildet. Heute sind das gut 10 Millionen Anreisen im Jahr (Klimaplan Südtirol 2040, einschließlich Tagesgäste) und morgen gewiss mehr, weil ab 2032 der BBT die Gäste schneller und bequemer ins Land schafft. Dieses Mengengerüst wird bei den Szenario-Annahmen des LPNM 2035 nicht in Frage gestellt.
Optimistisch setzt der LPNM (wie der Klimaplan) das Ziel, bis 2037 den Anteil der mit der Bahn anreisenden Gäste an den Gesamtankünften auf 25% zu steigern. Doch wird nicht geklärt, mit welchen Maßnahmen man zwei Millionen Touristen zum Verzicht auf ihr neues E-Auto für die Urlaubsreise bewegen will, wo doch Südtirol gleichzeitig das dichteste Ladesäulennetz Italiens haben wird und jedes Hotel Lade-Wallboxen bietet. Der Südtirol Guest Pass wird es nicht richten. So wartet der LPNM mit verschiedenen Vorschlägen zur Senkung des Verkehrsdrucks in Seitentälern, Tourismus-Hotspots und sensiblen Gebieten auf, erwähnt aber nirgendwo Passsperren, echten Lärmschutz, Ruhezonen, Fahrverbote. Sogar solche wirksameren Beschränkungen bleiben klimapolitisch betrachtet Makulatur, solange man nicht an der Quellfassung des Tourismus eingreift, nämlich die Anreisen reduziert und die touristische Überbeanspruchung zurückschraubt.
Ein genialer Kunstgriff
Gegen Ende des komplexen 400-seitigen Planungswerks geht der LPNM auf seinen Beitrag zu den Zielen des Klimaplans ein (S. 417-418). Wenn der Verkehr nicht wesentlich Emissionen vermeidet, ist Klimaneutralität nie zu schaffen, zumal allein der Verkehr 56% der CO2-Emissionen Südtirols und 44% der CO2eq-Emissionen verursacht. Nun entwickelt der LPNM ein „Planszenario“ (Planungsreichweite) bis 2035 und berechnet die dann durch vielfältige Maßnahmen erzielte CO2-Reduktion mit -27%. 73% der CO2-Emissionen des Verkehrs wird es also auch 2035 noch geben und bis 2040 werden sie nicht von alleine verschwinden. Ab 2035 werden zwar viel mehr E-Autos zirkulieren und nur mehr E-Autos als Neuwagen zugelassen werden. Weit mehr LKW werden mit Wasserstoff angetrieben und der ÖPNV und Fahrradverkehr wird potenziert sein. Allerdings wird 2035 ein erheblicher Teil des verkehrsbedingten zusätzlichen Stromverbrauchs noch nicht aus erneuerbaren Quellen stammen, räumt auch der LPNM ein (S.417 bzw. S. 887-890) und der Fuhrpark wird mehrheitlich noch aus Verbrennern bestehen, die bis 2035 verkauft werden dürfen.
Aber dann kommt ein geradezu genialer Kunstgriff, mit dem die LPNM-Autoren doch noch die Kurve zur Klimaneutralität kratzen möchten. Da gibt es den Klimaplan, der die Reduzierung der Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen bis 2037 auf null vorsieht; da gibt es das „Fit for 55-Programm“ der EU, das alle leichten Nutzfahrzeuge bis 2035 für emissionsfrei erklärt, und dann den PNIEC (nationalen Energiewendeplan), der den Energiebedarf des Verkehrssektors zu 22% aus erneuerbaren Energien zu decken gedenkt. Addiert man alles brav zusammen, erhält man laut LPNM -70% CO2-Emissionen bis 2035 und mit ein bisschen Optimismus -100% bis 2040. Eben wie im Klimaplan Südtirol 2040 vorgesehen. Ein Taschenspielertrick, denn der Klimaplan verweist für alle konkreten Maßnahmen im Bereich Verkehr auf den Mobilitätsplan. Der LPNM verweist zurück auf den Klimaplan. Nirgendwo wird bewiesen, dass bis 2037 nur mehr emissionsfreie Nutzfahrzeuge im Land unterwegs sind. Wo ist ein solches Verbot vorgesehen? Wie kann es durchgesetzt werden? Nirgendwo gibt es Argumente, warum 30% der CO2-Emissionen von 2035 bis 2040 einfach verschwinden. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Klimaneutralität nur herbeizuwünschen wird nicht viel bringen.
(Der Volltext des LPNM ist noch nicht im Internet verfügbar).
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Dann ist Klimaplan wohl das falsche Wort.
KLIMA-gerechtes Verhalten kann den Bürgern, besonders jenem Teil der Gesellschaft der nicht jeden € dreimal umdrehen muss, recht gut mit progressiven SONDER-STEUERN für vermeidbarem CO2 - Ausstoß an-erzogen werden.
Die Politiker müssten dafür endlich den Mut haben, ENTSCHEIDUNGEN auch gegen ALLES was sich LKIMA-frevelnd in der Luft, auf den Straßen und zu Wasser bewegt, angemessen besteuern!