Angeregt durch den Artikel von Andreas Hilpold zum Thema Obstbau fühle ich mich angesprochen, ein paar Fakten zur Artenvielfalt (Biodiversität) in den Südtiroler Landwirtschaftsflächen darzulegen. Als Konservator für Botanik am Naturmuseum in Bozen bin ich unter anderem mit der Aufgabe betraut, die Flora von Südtirol und deren Veränderung in der Zeit zu dokumentieren. Wir verfügen mittlerweile über flächendeckende Verbreitungsdaten aus einigen Jahrzehnten intensiver Erhebungen und sind daher imstande, fundierte Aussagen darüber zu machen, wie es um die pflanzliche Vielfalt in Südtirol und im Speziellen in den landwirtschaftlich genutzten Flächen tatsächlich steht. Diesen Beitrag verstehe ich als Grundlage für die Diskussion, was unsere Landwirtschaft für den Erhalt der Biodiversität leistet und wie sie ihre Verantwortung für die Umwelt – sprich Natur und Gesellschaft – zukünftig wahrnehmen will. Im Folgenden möchte ich kurz auf die wichtigsten Landwirtschaftszweige eingehen.
Obstbau
Aus der Sicht des Botanikers sind geschlossene Apfelplantagen völlig uninteressant. Es dominieren 5-10, in der Regel eingesäte Arten, die der mechanischen Belastung sowie der Düngung und Verdichtung des Bodens gewachsen sind. Selbst extensivere Randzonen, wie sie im Weinbau allenthalben zu finden sind, fehlen; damit besteht auch keine Chance, dass sich in den Flächen des Intensiv-Obstbaues etwas anderes als eine „verarmte Trivialflora“ entwickeln kann. Entsprechend dem geringen Angebot an Pflanzenarten ist natürlich auch die Insektenwelt stark verarmt.
Weinbau
Im Weinbau gibt es, wie man mir sagt, einen Trend zu einer zunehmend extensiveren Bewirtschaftung, insbesondere in der Anwendung von Spritzmitteln. Das hängt wohl mit der Weinkultur selbst und einem etwas anderen Qualitätsbegriff des Anbauproduktes zusammen als im (intensiven) Obstbau. Nichtsdestotrotz hat die moderne Bewirtschaftung der Rebflächen mit Planierungen, Einsaaten, dem Befahren und Mulchen der Mittelstreifen dazu geführt, dass die ursprünglichen „Weinäcker“ ihren Charakter verloren haben und ökologisch wie floristisch mittlerweile eher Wiesen gleichen: Typische (Wein)Ackerarten, darunter Zwiebelpflanzen wie Gelbstern und Milchstern und eine Reihe von einjährigen Spezialisten, die nur auf offenen Böden ohne Konkurrenz durch Wiesenpflanzen ein Überleben finden (z.B. Acker-Steinsame), verschwinden zunehmend. An der Rebenbasis, wo sich die Bodenverdichtung in Grenzen hält, könnte die typische Weinbergflora eine Nische zum Überleben finden. Das Problem: die Pflanzen sind Nahrungskonkurrenten („Zehrer“) zur Rebe und bieten Schadpilzen einen Lebensraum. Sie müssen aus wirtschaftlichen Gründen daher entfernt werden und die einzige wirksame und gleichzeitig praktizierbare Methode – auch das sagt man mir – ist bislang der Einsatz von Totalherbiziden. Die typische „Weinbergflora“, entstanden in Jahrhunderten der Koexistenz mit der Rebe, droht damit völlig aus der Flora Südtirols zu verschwinden – ein Schicksal, das der Getreide-Begleitflora bereits ereilt ist. Gerade die Weinbauflächen, weil bevorzugt in wärme- und lichtbegünstigten Lagen, böten Lebensraum für viele selten gewordene Pflanzenarten, die andernorts keinen Lebensraum mehr finden.
Futterbau
Die Problematik im Futterbau ist hinlänglich bekannt: Durch zu hohe Viehbesätze („Großvieheinheiten pro Hektar“), zugekaufte Futtermittel usw. gibt es keine geschlossenen Kreisläufe mehr, sprich, es besteht ein enormer Überschuss an Mist. Bislang ist keine Lösung in Sicht und wir sind schon so weit, dass Hochlagen und sogar Wälder für die Entsorgung von Gülle herhalten müssen. Die Folgen für die Flora sind eindeutig: Unsere Futterwiesen sind in der Regel zu stark gedüngt, um eine gewisse Artenvielfalt zuzulassen. Düngetolerante Pflanzen und solche, die frühes und häufiges Mähen ertragen, nehmen überhand. Meist sind das eingesäte kommune Arten („Allerweltsarten“). Auffallend ist, dass der Anteil (stark) überdüngter Flächen in den letzten Jahren stark zugenommen hat – von den Löwenzahn-Wiesen über die Kerbel-Wiesen bis hin zu den reinen Ampfer-Wiesen. Letztere bilden den Endpunkt der Degradation von „Futterwiesen“. Hier wird offenbar, dass die „Wirtschaftsflächen“ zunehmend zur Deponie von Mist geworden sind. Einen Futterwert haben solche „Wiesen“ jedenfalls nicht mehr. Neu ist, dass durch die konsequente Erschließung von Bergregionen auch dort die Trivialisierung der Wiesenflora Einzug hält: durch Planierung, Einbringung ortsfremden Saatgutes und durch starke Düngung ereilt den Südtiroler Bergwiesen in Kürze dasselbe Schicksal wie den Talwiesen. Waren erstere bisher ein Pool der Biodiversität schlechthin (die Arten- und genetische Vielfalt betreffend), so ist es bedingt durch Intensivierung in Hofnähe einerseits und Verbrachung in Hofferne andererseits nur mehr eine Frage der Zeit, bis dieser Pool erlischt.
Eine (wenig) überraschende Tatsache in diesem Zusammenhang: von den rund 600 als gefährdet eingestuften Arten der Flora Südtirols sind 41% durch Intensivierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft gefährdet. Davon betroffen sind in erster Linie Pflanzen feuchter Standorte sowie typische Wiesenarten von Standorten mit geringem bis mittlerem Nährstoffgehalt (Wilhalm & Hilpold 2006: Rote Liste der gefährdeten Gefäßpflanzen Südtirols. Gredleriana 6: 115-198). Im Trentino ist derselbe Anteil durch das Auflassen traditioneller Bewirtschaftungsweisen gefährdet (Prosser 2001: Lista Rossa della Flora del Trentino. Museo Civico di Rovereto.). Fazit: Auch wenn es dem Bauern ermöglicht wird, am Berg zu bleiben und seine Wiesen zu bewirtschaften – der Preis für die geförderte Landwirtschaft in Südtirol ist bei der derzeitigen Praxis eine zunehmende Gefährdung der Flora.
Mein persönliches Resümee:
- Die oben besprochenen Landwirtschaftsflächen nehmen einen beträchtlichen Anteil der Südtiroler Kulturlandschaft ein. Für Biodiversität ist hier kein Platz. Im Gegenteil, ihr wird entschieden entgegen gewirkt und zwar aus folgenden Gründen: die Bewirtschaftung ist generell zu intensiv, am Ende stellen sich wenige triviale „Allerweltsarten“ ein. Es fehlt das Angebot an Pufferzonen, d.h. Intensivflächen grenzen direkt an (potentiell) naturnähere Flächen, wie Gräben, Hecken, Auwaldreste, Feuchtgebiete usw. und beeinflussen diese auf Dauer negativ. Es fehlen ökologische Ausgleichsflächen innerhalb der Landwirtschaftsbereiche, in denen sich Biodiversität entfalten kann. Gerade Imker beklagen zunehmend, dass den Bienen ihre Weiden abhanden kommen.
- Der Landwirt ist nicht a priori ein Landschaftspfleger, wie uns die politischen Bauernvertreter ständig erklären. Mit Landschaftspflege sollte nämlich ein verantwortungsbewusster Umgang mit natürlichen Ressourcen verbunden sein, was weder im intensiven Obstbau noch im Gülle belasteten Futterbau erkennbar ist. Das „Offenhalten“ einer Landschaft allein stellt noch keine (bäuerliche) Leistung und keine landschaftliche Aufwertung dar. Ein Appell ergeht an den Futterbauern, das Gülleproblem endlich von sich aus zu thematisieren, die Verantwortung dafür zu entwickeln und von der Politik Lösungen zu fordern! (wenn schon an dem zu hohen Viehbesatz nicht gerüttelt werden darf!?)
- Gegen intensive Landwirtschaft ist nichts einzuwenden, sofern Böden, Wasser und die Gesundheit der Bevölkerung nicht gefährdet sind. Es ist aber ein Gebot der Stunde dafür zu sorgen, die intensiv bewirtschafteten Flächen „aufzulockern“ mit wenig intensiv bis extensiv bearbeiteten und naturbelassenen Flächen. Damit verbunden ist die Verpflichtung des Bauern zu ökologischen Ausgleichsflächen, für die er natürlich (wie für so vieles) von der Gesellschaft „entschädigt“ oder besser: belohnt wird.
- Regionalsaatgut ist zu fördern, denn: Neben der Artenvielfalt ist die genetische Vielfalt im Auge zu behalten. Das Thema ist unlängst im Obst- und Getreideanbau aufgebracht worden, es gilt umso mehr für die heimische Flora!
- Letztlich ist es eine Frage, was uns als Gesellschaft Biodiversität wert ist und was wir dafür tun wollen. Zur Zeit bietet die Landwirtschaft kein gutes Beispiel: zu sehr steht die Rationalisierung und Gewinnmaximierung über allem.
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