Unter "Russkij Mir" bezeichnet einen in der Theorie kultureller Fonds, der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin 2007 ins Leben gerufen wurde, „zum Ziele der Popularisierung der russischen Sprache, die eine nationale Errungenschaft Russlands und ein wichtiges Element der russischen Kultur sowie der Weltkultur ist, und auch zur Unterstützung der Lehrprogramme der russischen Sprache im Ausland“. o steht es zumindest im Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 23. Juni 2007.
Dieser klärt zudem, dass das Außenministerium und das Bildungsministerium Stifter des Fonds sind und dieser sich aus Mitteln des „föderalen Budgets“ sowie aus Spenden finanziert. Alles weitere scheint auf den ersten Blick nichts zu sein, das nicht in einem gewöhnlichen Vereinsstatut auch enthalten wäre – wenn auch mit einem merkwürdigen Beigeschmack: Der Präsident der Russischen Föderation (sprich Putin) ernennt die Mitglieder der Leitung. Der Präsident der Russischen Föderation (sprich: schon wieder Putin) ernennt auch den verantwortlichen Direktor. Und (sprich: noch einmal Putin) ernennt auch die Mitglieder und den/die Vorsitzende des Aufsichtsrates. Eine Kulturstiftung, deren Gremien zur Gänze vom russischen Präsidenten persönlich besetzt werden? Soweit die Formalia.
Was aber tut "Russkij Mir"...
"Russkij Mir" hat seine Zentren seit 2007 auf der ganzen Welt verteilt . Ein solches Programm innerhalb von sieben Jahren aufzubauen – alle Achtung! Zudem unterstützt der Fonds zahlreiche Organisationen und Institutionen mit Russlandschwerpunkt. Dazu gehören beispielsweise der vom Deutsch-Russischen Forum organisierte Bundescup „Spielend Russisch lernen“ (Hauptsponsor des Wettbewerbs ist übrigens Gazprom), das Russische Zentrum der Uni Freiburg, das Kulturportal Russland und auch das Russlandzentrum an der Universität Innsbruck. "Russkij Mir" unterstützt auch das Staatliche Institut der Russischen Sprache Aleksandr Sergejevič Puškin in Moskau, das jährlich Studierende österreichischer Universitäten und Fachhochschulen zu einem Tandem-Austausch nach Moskau einlädt.
Ich war selbst vor etwas mehr als einem Jahr Teilnehmerin an einem solchen Tandem-Austausch - und war begeistert von der hohen Qualität der Lehre, Russland, den Menschen, der Lebensweise.
... in Südtirol?
In Südtirol ist "Russkij Mir" ebenfalls spendabel: Der Fonds ist Gründungsmitglied des „Zentrums zur Förderung der Beziehungen zwischen der Autonomen Provinz Bozen und Russland Nadezhda Ivanovna Borodina“ in Meran, dessen Vorsitzender niemand geringerer als Wladimir Jakunin ist, der 2005 zum Chef der Russischen Eisenbahn ernannt wurde und seit 2014 auf der Sanktionsliste der USA steht. Vizepräsident des Zentrums ist Arno Kompatscher, seines Zeichens Landeshauptmann der Autonomen Provinz Bozen Südtirol. Mit der Freien Universität Bozen (ebenfalls in der Auflistung des obigen Links zu finden), die ebenfalls Gründungsmitglied des Zentrums ist, steht eine weitere Hochschule in unmittelbaren Zusammenhang mit der „Russkij Mir“.
Very important people
Nun stellt sich die Frage, wer hinter einer derart großzügigen und finanzkräftigen Stiftung steht. Wer sind die Männer und Frauen, deren Berufung für Putin so wichtig ist/war, dass er sie nur persönlich ernennen wollte/will? Nun ließe sich bestimmt über jede einzelne Person eine seitenlange Kurzbiographie schreiben. Dies ist aber nicht Intention dieses Textes. Daher gehe ich an dieser Stelle nur kurz auf einige wichtige Akteur/innen ein.
Verantwortlicher Direktor von „Russkij Mir“ ist Wjačeslav Alekseevič Nikonov, der gleichzeitig auch Vorsitzender des Bildungsausschusses in der Duma ist und Präsident des Fonds „Politika“ ist. „Politika“ wurde 1993 unter anderem von Nikonov gegründet und dient unter anderem dem „Zusammenschluss und der Koordinierung der Bemühungen von Politiker/innen, Wissenschaftler/innen und Unternehmer/innen, Unterstützung zur Durchführung grundlegender Reformen im Bereich von Politik und Wirtschaft [...]“. Natürlich prangt auch auf der Homepage von „Politika“ das Logo von „Russkij Mir“.
Im Vorstand vertreten ist zudem der stellvertretende Bildungsminister Weniamin Šaevič Kaganov, der in diesem Jahr mit der Errichtung von „Puškin-Instituten im Ausland“ von sich reden machte. Mit Pawel Alexeevič Prokofjev ist auch ein Vertreter des Außenministeriums im Vorstand, was dem Bild gerecht wird, die Stiftung sei ein Projekt des Außen- und Bildungsministeriums. Der gesamte Vorstand ist hier einsehbar.
Der Aufsichtsrat ist nicht minder prominent besetzt: Vorsitzende ist die Präsidentin der St. Petersburger Staatlichen Universität, Ljudmila Alexeeva Verbizkaja. Sie studierte an der Fakultät für Russische Sprache und Literatur und ist Vizepräsidenten der UNESCO-Kommission zu Fragen der Frauenbildung. Verbizkaja ist zudem Mitglied im Exekutivrat der Internationalen Vereinigung der Universitäten. Außenminister Lavrov und Bildungsminister Livanov sind ebenfalls Mitglieder des Kuratoriums.
Ideologisch interessant ist die Mitgliedschaft des Metropoliten Ilarion (Grigorij Vaerevič Alfeev). Er ist seit 2009 Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats und war zeitweise Bischof von Wien. Eine sehr ausführliche Beschreibung sämtliches Lebensstationen des durchaus umstrittenen Alfeev in deutscher Sprache gibt es hier.
Mit der Historikerin und Politikerin Natalija Alekseevna Naročnizkaja sitzt eine weitere Frau im Aufsichtsrat. Sie ist „Präsident[in] der Stiftung für historische Perspektive“, deren Ziel es nach eigenen Angaben ist, eine echte, auf der Vergangenheit gegründete, feste Beziehung zwischen der großen Geschichte Russlands und seiner großen Zukunft“ herzustellen. Dabei orientiert sich die Stiftung an den „Prinzipien des national orientierten Konservativismus“. Zwischen 2009 und 2012 war die berühmte Historikerin übrigens Mitglied der „Komission gegen Versuche der Geschichtsfälschung zum Schaden der Interessen Russlands“, die vom damaligen Präsidenten Medvedev gegründet wurde.
Zu diesen Vertreter/innen kommen noch wichtige Akteur/innen aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Medien, deren engmaschiges Netz erst offensichtlich wird, wenn man sich die Biographien der Damen und Herren genauer anschaut. Die vollständige Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist ebenfalls auf der Homepage von „Russkij Mir“ einsehbar: klick.
Ideologie
Nun ist Russkij Mir nicht einfach ein Kulturfonds, sondern weit mehr. Das hinter der Stiftung stehende Konzept der „Russischen Welt“ gibt es nicht erst seit der Gründung von 2007. Das ideologische Konzept der "Russischen Welt" fügt sich keineswegs den Grenzen der Russischen Föderation, sondern spielt – wie dies vor allem im Verlauf der Ukraine-Krise mit dem Höhepunkt in der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ost- und Südostregionen zeigte – ganz bewusst mit neoimperialistischen und nationalistischen Parolen. Bedenklich ist das vor allem auch vor dem Hintergrund der extrem starken rechtsextremen und nationalistischen Szene in Russland.
Das tragfähige Fundament hinter dem Konzept bilden historische, kulturelle und religiöse Faktoren: die slawisch-orthodoxe Religion, das historische, russländische Imperium bzw. die „Heilige Rus'“ und die Idee des Euroasiatismus (geplante Zoll- und Wirtschaftsunion zwischen Russland, Kasachstan, Belorus' und der Ukraine – zumindest aus russischer Sicht). Interessanterweise ist eine sehr klare Definition dessen, was die Ideologie der "Russkij Mir" umfasst in der deutschsprachigen Selbstdefinition der Stiftung enthalten:
„'Russkij Mir' umfasst nicht nur Russen, nicht nur Einwohner Russlands, nicht nur unsere Landleute in den Ländern des weiten und nahen Auslands, Emigranten, Auswanderer aus Russland und ihre Nachkommen. Das sind ausländische Bürger, die Russisch sprechen, lernen und unterrichten, alle Menschen, die sich aufrichtig für Russland interessieren und über seine Zukunft aufregen.“
Wenn es sich hierbei auch um eine deutsche (und zugegeben: nicht sonderlich gelungene) Übersetzung handelt, ist doch klar, was die Intention dahinter ist; umgemünzt auf den Ukraine-Konflikt heißt das: „In Bezug auf Bürgerinnen und Bürger der Ukraine vollzieht "Russkij Mir" [...] eine autoritäre Identitätsbehauptung, die große Teile der Ukrainer auf die Zugehörigkeit zu einer ostslawischen Gemeinschaft festlegt, die sich außenpolitisch und außenwirtschaftlich, natürlicherweise an Russland orientiert.“ (Jilge, 2014) Aus aktuellem Anlass sei an dieser Stelle der Aufsatz von Wilfried Jilge „Die Ukraine aus der Sicht der Russkij Mir“ vom Juni 2014 empfohlen, der als pdf auf der Website der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen abrufbar ist.
Als bedenklich anzumerken ist ganz bestimmt nicht, dass Menschen aller Altersgruppen die russische Sprache erlernen wollen. Auch pauschale Verurteilungen anhand politischer Verhältnisse sind mehr als fehl am Platz! Bedenklich sind zwei klare Punkte:
1. Die Nachdrücklichkeit mit der sich eine staatliche Stiftung mit bedenklicher Ideologie in die Zivilgesellschaften anderer Staaten eingliedert. Die Resultate dieser Ideologie sind heute in der Ukraine sichtbar – aber nicht nur: Als die Ukraine am Brodeln war, ließ belarussische Präsident Lukashenko aufhorchen: Er hielt seine erste Rede auf Belarussisch seit seinem Amtsantritt 1994. Expert/innen werteten dies als Zeichen der Abkehr von den imperialistischen Plänen Putins, die durchaus auch Lukashenko beängstigen dürften.
2. Bedenklich ist außerdem, dass sich eine ideologisch gefärbte Stiftung wie „Russkij Mir“ mit ihren finanziellen Mitteln an Hochschulen etabliert. Die Universitäten von Freiburg und Innsbruck sind nur zwei Beispiele. Wenn Forschung unabhängig bleiben soll, dann muss sie auch von unabhängigen Trägerorganisationen und -institutionen finanziert werden. Wie soll sonst in Zukunft eine zivilgesellschaftliche, wissenschaftlich fundierte Kritik an Expansionsbestrebungen möglich sein – egal von wem diese kommen?
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Luis Durnwalder, Wladimir Jakunin und Günther Januth im Oktober 2013.
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