Während derzeit einzelne „Destinationen“ in Südtirol das Nachhaltigkeitslabel Südtirol (3 Levels) zuerkannt bekommen, liegt immer noch kein klares Bild vor, wie stark der Tourismus als solcher das Klima belastet. Der Klimareport 2018 der EURAC schätzt seinen Anteil an den Gesamtemissionen Südtirols auf 10%. Weil im Tourismus auch viel graue Energie und Emissionen anfallen (Bautätigkeit, An- und Rückreise, Energieverbrauch, Import von Vorleistungen usw.), ist der Gesamtanteil sicher höher. Was sich berechnen lässt, sind die CO2-Emissionen pro Gast. Wie aus einem Beschlussantrag der GRÜNEN im Landtag (Klimakur für Südtirols Tourismus, 19.4.2022) hervorgeht, liegen diese bei einem typischen 4-Sterne-Hotel bei 140 kg CO2 pro Gast und Nacht. Ein Durchschnittssüdtiroler emittiert im Schnitt 20 kg CO2 am Tag. Die 2022 registrierte Gesamtnächtigungszahl von 34,4 Millionen entspricht rechnerisch einer Dauer-Bevölkerungsgruppe von 94.246 Personen, d.h. in Südtirol leben eigentlich 624.000 Menschen und produzieren entsprechend mehr CO2. Ganz einfach: Je mehr emissionsintensive Gäste sich hier aufhalten, desto höher unsere Gesamtemission, desto entfernter die Klimaneutralität. Das trifft auch andersrum zu: was wir als Touristen anderswo emittieren, wird jener Destination zugerechnet.
Allerdings geht es im Tourismus auch sparsamer. Laut GRÜNEN-Beschlussantrag hat ein aufgeschlossener Hotelier mit radikalen Einsparungen und eigener Energieproduktion die Emissionen pro Gast von rund 140 kg/Kopf auf 10,8 kg/Kopf gedrückt. Dies zeigt zum einen die Messbarkeit des CO2-Fußabdrucks des Tourismus, zum anderen auch das erhebliche Potenzial an Einsparungen von Treibhausgasemissionen in der Hotellerie. Daraus ist zu folgern: der Tourismus darf nicht weiterwachsen und muss Emissionen vermeiden, wenn Südtirol klimaneutral werden soll. Doch wird das Nachhaltigkeitslabel Südtirol IDM diesem Anspruch und Umstand gerecht?
Bekanntlich hat das IDM sein eigenes „Nachhaltigkeitslabel Südtirol“ entwickelt, das „besonders nachhaltigen“ Destinationen zuerkannt wird. Diese müssen die geforderten Standards nicht sofort nachweisen, sondern als eine Art Zielmarke anstreben. In der Kommunikation nach außen darf das Label ab sofort eingesetzt werden. Das Nachhaltigkeitslabel Südtirol basiert laut IDM auf den Standards des Globalen Rats für Nachhaltigen Tourismus (GSTC), einer höchst seriösen internationalen Vereinigung. Auditiert wird dieses Label dann von einzelnen Organisationen und verwaltet vom IDM. Im weltweiten Labeldschungel sind internationale „benchmarks“ beim Qualitätsstandard von Destinationen und Betrieben durchaus gefragt. Daneben braucht es freilich eine übergeordnete Instanz, die die Standards prüft und Verfahren überwacht. Wenn die Gäste ihre Ziele nach Nachhaltigkeitskriterien wählen und die Gastgeber in Sachen Nachhaltigkeit wetteifern, kann dies eine positive Dynamik für einen sozial und ökologisch verträglicheren Tourismus auslösen. Doch stellen sich im Fall IDM mindestens zwei Fragen. Zum ersten, inwiefern hat sich das IDM tatsächlich an die GSTC-Kriterien gehalten? Zum zweiten, wie kommt eine Marketing- und Standortagentur dazu, über die Nachhaltigkeit eines ganzen Gebiets zu urteilen, was die Bevölkerung naturgemäß ganz anders sieht?
Zu letzterer Frage: Das IDM als Agentur für die Standortbewerbung und Marketing handelt vor allem im Interesse der Tourismusunternehmen und der Tourismusbranche als solcher, nicht im Interesse der gesamten Bevölkerung. Sie verfügt nicht über die nötige Unabhängigkeit und wissenschaftliche Autorität. Eine derartige Rolle sollte am besten von einer öffentlichen Institution (z.B. der Landesumweltagentur) oder einer wissenschaftlichen Institution (EURAC, Universität Bozen) wahrgenommen werden.
Zur ersten Frage: verglichen mit dem Kriterien- und Indikatorenset des GSTC-D wirkt die IDM-Liste ausgedünnt und in der Aussagekraft aufgeweicht. Das IDM ist sehr selektiv vorgegangen, zahlreiche für die lokale Bevölkerung wichtige Indikatoren fehlen, ihre Einbeziehung außen vor gelassen. Zur Nachhaltigkeit gibt es in Südtirol inzwischen viele Daten, Fakten und Analysen von öffentlichen und wissenschaftlichen Institutionen. Wenn der Begriff „nachhaltig“ in der Touristeninformation Aussagekraft haben soll, muss er anhand von Daten und Fakten nachprüfbar und belegt sein, keine bloße Einschätzung einer Tourismusagentur. So kommt es auch, dass ein overtourism-geplagtes Tal mit einer garantiert nicht klimaschutzgerechten Wachstumsagenda wie Gröden für „nachhaltig“ erklärt werden kann. Eine echte Klimazertifizierung, wie von den GRÜNEN vor einem Jahr gefordert, muss anders vorgehen. Nicht nur Einzelbetriebe, sondern auch ganze Destinationen und ganz Südtirol müssen ihre Öko- und Klimabilanz offenlegen. Nur anhand einer vollständigen Klimabilanz kann man sowohl Gästen als auch der Bevölkerung einen ehrlichen Befund in Sachen Nachhaltigkeit liefern.
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Danke für die Nachforschung und Einordnung. Wenn solches Greenwashing geliefert wird soll sich die IDM doch gescheiter auflösen.
"Diese müssen die geforderten Standards nicht sofort nachweisen, sondern als eine Art Zielmarke anstreben. In der Kommunikation nach außen darf das Label ab sofort eingesetzt werden."
Ein Paradoxon, das seinesgleichen sucht. Und dann noch von einer Tourismusagentur vergeben.
Leider stimmt diese Aussage von Herrn Benedikter nicht und mich würde auch hier die Quelle interessieren, die ihn zu diesem Kommentar verleitet. Erst nachdem eine Destination von einer von GSTC anerkannten, unabhängigen Zertifizierungstelle (certification body) vor Ort auditiert wurde, bekommt die Destination das dunkelgrüne Nachhaltigkeitslabel Südtirol (Level 3), welches auch von GSTC anerkannt ist. Weltweit gibt es drei Organisationen, welche diese Audits vornehmen dürfen. Sie finden diese hier: https://www.gstcouncil.org/certification/become-certified-destination/ Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Destination Eggental die einzige, der das dunkelgrüne Label nach einem rund zweijährigen Prozess verliehen wurde. MfG.
Sehr geehrter Herr Benedikter,
ihr Beitrag ist ein Community Beitrag und folglich Ihre Meinung.
Darf ich Sie trotzdem fragen auf welche Quellen Sie sich beziehen, wenn Sie behaupten, dass gegenüber dem Kriterien- und Indikatorenset des GSTC-D die IDM-Liste (was auch immer das ist) ausgedünnt und in der Aussagekraft aufgeweicht ist. Ich behaupte, dass diese Aussage schlicht und einfach falsch ist. Wäre dem so, dann wäre das Nachhaltigkeitslabel Südtirol für Destinationen auf dem Level 3 wohl kaum von GSTC anerkannt. Dem ist aber so und hier können Sie das nachlesen: https://www.gstcouncil.org/sustainable-tourism-in-south-tyrol/. Gröden wurde als Destination nicht nach dem Südtirol Standard, sondern nach dem GSTC Standard zertifiziert. Ist zugegeben etwas kompliziert hier durchzublicken, Experten können das aber. Freundliche Grüße.
Da Sie anscheinend vom Fach bzw. in der Materie kompetent sind, die Frage: Warum werdern die Kriterien der drei "Nachhaltigkeitslabel Südtirol" nicht offengelegt und öffentlich bekannt gegeben? Warum diese Geheimnistuerei? Dies alles führt zu öffentlichen kritischen Diskussionen. Wenn Sie diese nicht wollen, müssen Sie alles offen diskutieren.
Sehr geehrter Herr Bacher,
die Übersicht der aktuell anerkannten Labels für den Südtirol Standard finden Sie hier: https://www.idm-suedtirol.com/fileadmin/user_upload/content/Nachhaltigke...
MfG
Danke! Um damit ich auch verstehe, bräuchte ich diese Information in gut verständlicher deutscher Sprache.
Wass soll das, die Information nur in einem Fachenglisch mit nicht definierten Abkürzungen zu veröffentlichen?
"The program is based on the GSTC Criteria and has been adapted to South Tyrolean conditions. The result of this process is the sustainability standard for tourism in South Tyrol, which is a GSTC-Recognized Standard, equivalent to the GSTC Criteria."
Was bitte bedeutet das genau? Was wurde angepasst und wie?
" GSTC Recognition does not ensure that a certification process is reliable, only that the set of standards used to certify are equivalent to the GSTC Criteria."
Aha, und wer dann? Die IDM?
Genau die IDM auf Grundlage der GSTC Kriterien bzw. Katalog.
GSTC zertiziert nicht vor Ort.
Sehr geehrter Herr Stefan,
die von GSTC akkreditierten "Certification Bodies" für Destinationen finden Sie hier: https://www.gstcouncil.org/certified-sustainable-destinations/
In Südtirol sind aktuell Green Destinations und Vireo aktiv.
Die akkreditierten Unternehmen für die GSTC Zertifizierung der Unterkunftsbetriebe finden Sie hier: https://www.gstcouncil.org/certification/become-certified-hotel/
Nach meinem Wissenstands ist hier aktuell nur Vireo in Südtirol aktiv.
MfG
"The program is based on the GSTC Criteria and has been adapted to South Tyrolean conditions. The result of this process is the sustainability standard for tourism in South Tyrol, which is a GSTC-Recognized Standard, equivalent to the GSTC Criteria."
Was bitte bedeutet das genau? Was wurde angepasst und wie?
Würde mich über eine möglichst unkomplizierte, leicht verständliche Antwort freuen. denn was "für den Tourismus in Südtirol" wie angepasst wurde, habe ich bis jetzt nirgends entdeckt.
Hallo Herr Gasser,
ich habe die Kriterien hier gefunden: https://www.idm-suedtirol.com/de/unsere-leistungen/nachhaltigkeit/nachha...
MfG
Vielen Dank für die Info
"Die akkreditierten Unternehmen für die GSTC Zertifizierung der Unterkunftsbetriebe finden Sie hier:"
Hat Vireo vor Ort zertifiziert oder die IDM?
Das hier "nur" einzelne Bausteine zertifiziert wurden ist erkenntlich.
Hallo Herr Stefan,
s. Antwort oben. IDM darf gar nicht zertifizieren. Aktuell machen das in Südtirol Green Destinations und Vireo.
Wie oben beschrieben sind diese von GSTC anerkannt. Es gibt auch andere, anerkannte Unternehmen, aber die sind in Südtirol noch nicht aktiv.
MfG
Hannes von chaos, meine Frage: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses von der Svp eingesetzte und wahrscheinlich von Interessensgruppen angepasste, (GSTC)-Klimaplan-Bewusstsein-Instrument, kein teurer Greenwashingdeal ist? Bzw. Engagement und Handeln vorschwindelt, um sich aus einer sonst unangenehmen Lage zu befreien.
Wenn dem so wäre wie in den Kriterien steht und angedeutet wird, dann müsste die lokale Berglandwirtschaft florieren.
Das tut sie aber nicht: die Erzeugung lokaler Produkte lohnt sich meist nicht, da sie nicht kostendeckend verkauft werden können.
Gradmesser einer Nachhaltigkeit sind somit nicht glanzvolle Zertifikate, sondern eine
- florierende lokale Lebensmittelproduktion und
- Arbeiter- und Angestellten-Familien mit Kindern.
.
Da es beides nicht gibt, ist es vorerst REAL nichts mit irgendeiner sichtbaren Nachhaltigkeit. Nur die er- und gelebte Wirklichkeit macht wirkliche Nachhaltigkeit sichtbar.
.
Ein Bergbauer, der die lokale Fleischproduktion im Tourismustal mangels Absatz aufgeben will, sagte mir vor Ort: gemessen an der Bevölkerung und den Touristen im Tale müsste es drei Schlachtungen pro Woche geben, es gibt aber nur 1e im Monat.
Dies sind die WIRKLICHEN Gradmesser, und nicht Hochglanzbroschüren, Seminare, eingerahmte Zertifikate.
"Wenn dem so wäre wie in den Kriterien steht und angedeutet wird, "
Genau hier liegt das Problem, die Kriterien sind eine Willenserklärung haben aber nicht den Anspruch einen bestimmten Prozentsatz an nachgewiesener Nachhaltigkeit zu erbringen
So ist das dann in den Kriterienkatalog formuliert
"Die Destination fördert den Verbleib der Tourismusausgaben in der lokalen Wirtschaft durch die Unterstützung lokaler Unternehmen, Lieferketten und nachhaltiger Investitionen. Sie fördert die Entwicklung und den
Kauf lokaler nachhaltiger Produkte, die nach den Grundsätzen des fairen
Handels hergestellt werden und die die Natur und Kultur der Region widerspiegeln. Dazu können Lebensmittel und Getränke, Kunsthandwerk,
darstellende Künste, landwirtschaftliche Produkte usw. gehören."
Und das sind die genannten Indikatoren dazu
"B.3.1 Initiativen zur Unterstützung lokaler Bauern, Handwerker und
Nahrungsmittelerzeuger bei der Beteiligung an der touristischen
Wertschöpfungskette
B.3.2 Touristische Betriebe, in denen ein BESTIMMTER PROZENTSATZ
der angebotenen Lebensmittel regionale und biologische Produkte
sind"
Wo finden wir diesen bestimmten Prozentsatz und wer bestimmt diesen?
Wenn ich recht verstanden habe, gibt es keine Kriterien zur Einsparung von Energie und Wasser, noch geht es um erneuerbare Energie, usw.. Resümee: Es fehlen alle Elemente bezüglich Reduzierung der Erderwärmung und des Klimaplans.
"keine Kriterien zur Einsparung von Energie und Wasser"
Ist nur allgemein gehalten genannt
"D.5.1 Erfassung von Energiesparmaßnahmen, Teilnahmen an
Programmen zur Energieeffizienz und Forcierung erneuerbarer
Technologien in touristischen Betrieben"
und
"D.6.3 Erhebung bisheriger Maßnahmen zur Reduktion des
Wasserverbrauchs in touristischen Betrieben"
Ok, danke Stefan!
Wir haben vor mittlerweile genau 24 Jahren bei meinem Ex-Arbeitsgeber eine ISO-Zertifizierung gemacht.
Da war es genau dasselbe. Alles kann, vieles soll, wenig muss. Und wie man sieht, hat sich bei der Vergabe von Zertifizierungen nicht viel geändert, einfach nur traurig.