Es ist keine neue Erkenntnis, dass permanentes Wachstum keine Zukunft hat. Auch nicht im Südtiroler Tourismus, der seit 60 Jahren ungebrochen wächst und 2023 bei den Gästeankünften voraussichtlich die 8-Millionen-Marke knacken wird. Das bringe ja Wohlstand ins Land, so die Touristiker, und deklarieren ganze Destinationen als "nachhaltig". Wohlstand gut und recht, doch lässt sich Wohlstand in Zeiten der Klimakrise nicht mehr in steigenden Nächtigungszahlen, Umsatz und Bankkontostand messen. Grünes Wachstum ist eine Illusion, denn die Entkopplung von Wachstum einerseits und Energie- und Materialverbrauch andererseits klappt nur sehr begrenzt. Schon gar nicht im Tourismus. Die größtenteils fossil betriebene Mobilität bei immer kürzerer Aufenthaltsdauer lässt sich nicht von Energieverbrauch und CO2-Emissionen abkoppeln, der Materialverbrauch beim Bau touristischer Kubatur noch weniger. Mehr Tourismus heißt unvermeidlich mehr Verkehr, mehr verbaute Fläche, mehr Abfall, mehr Energieverbrauch und mehr CO2-Emissionen. Ein banaler Zusammenhang, der anscheinend beim HGV noch nicht angekommen ist.
Die Lobby der Touristiker kämpft deshalb unverdrossen für das Recht auf Wachstum. Klimakrise und Klimaschutz scheint dort leeres Gerede zu sein, oder ein Problem, um das sich andere kümmern sollen. Harter Fakt im Tourismus ist hingegen der Kapitalverwertungszwang. Die Bettenkapazität und Wellnessbuden stehen und wollen gefüllt werden, Kredite wollen bedient, Märkte bearbeitet werden. Die oberen Segmente legen noch zu, die unteren bauen ab. Also heißt es nachrüsten und damit geht die Gesamtkapazität nochmals nach oben. Die Jungunternehmer stehen bereit, kapitalkräftig und tatendurstig, um mit Chaletdörfern und Hide-Aways über die Landschaft herzufallen. Die Jungen müssten auch die Chance auf Entfaltung haben, meinte sinngemäß HGV-Pinzger auf RAI-Südtirol. Doch „Entfaltung“ geht im Tourismus immer nur in Form von neuer Kubatur und Flächenversiegelung, zusätzlichem Beton und Verkehr. So dreht sich die Spirale weiter, als gäbe es keinen Klimawandel.
Das zeigt sich auch bei der letzten Szene der Auseinandersetzung zwischen Hotellerie und Landesregierung: die quantitative Erweiterung der Hotelbetriebe im landwirtschaftlichen Grün. Dem HGV war seitens der Landesregierung zugesagt worden, dass alle gastgewerblichen Betriebe im landwirtschaftlichen Grün um 30% der überbauten Bestandsfläche erweitern dürfen. Jetzt hingegen soll diese Erweiterung um max. 30% der Bestandsfläche nur mehr für die kleineren Betriebe bis 12.000 Kubikmeter Bestandskubatur gelten. Die größeren Betriebe, in der Regel mit über 80 Betten, dürfen dann nicht mehr erweitern (DOLOMITEN, 20.4.2023). Auch in dieser Form würde diese Bestimmung zu einem erheblichen Ausbau der Beherbergungskapazität und zu neuer Klimabelastung führen. Während die privaten Haushalte unter der notwendigen Heizungsumrüstung ächzen, dürften dann Hotels bis 80 Betten jede Menge neuer energiefressender Wellnessbuden auf die grüne Wiese stellen und würden dafür auch noch gefördert.
Die Crux liegt in der Eigendynamik des Tourismusmarktes. Je mehr in Kubatur und Bespaßungsanlagen für immer anspruchsvollere Gäste investiert wird, desto mehr muss die Werbemaschine (teils über die steuerfinanzierte IDM) heißlaufen, müssen alle Kanäle mit Werbung für den „begehrtesten Lebensraum“ geflutet werden, um die Betten zu füllen. In ihrer unternehmerischen Logik kommt die Branche aus dem Wachstumszwang nicht heraus, wie die Fischfangbranche, die mit immer größeren Schiffen überfischte Gewässer ausbeutet und mittelfristig trockenlegt. Nur eine letzte Grenze könnte den Hoteliers zu schaffen machen. Es kommen immer weniger Arbeitskräfte, die für Billiglöhne in den Südtiroler Betrieben schuften wollen. Die touristische Kapitalverwertung könnte just an diesem menschlichen Faktor an eine physische Grenze stoßen, die ihr die Politik nicht wirklich setzen will.
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Die vom Finanzmarkt getriebene stetige Forderung nach Wachstum ist in keinster Weise mit nachhaltiger ökologischer Klimapolitik vereinbar.
Es bleibt dabei, die Bewertung für Wachstum muss eine deutliche Komponente für echte Nachhaltigkeit bekommen, alles andere ist mittel bis langfristig Selbstbetrug.
Unsere Einweggesellschaft ist nicht mehr tragbar, da langt allein schon ein Blick auf das Bevölkerungswachstum im Indusriezeitalter der letzten 2 Jahrhunderte.
Da kann ich höchstens noch ein boshaftes Rechenexempel ergänzen: Der HGV soll mir die aus seiner Sicht erstrebenswerte Wachstumsrate nennen und ich liefere per Überschlagsrechnung (70 dividiert durch jährliche Wachstumsrate - brauchbar im Rahmen von 1 bis 10 % ) die Zahl der Jahre, wo alle doppelt so viel essen und trinken und doppelt so schnell schlafen müssen, damit sich das Wachstum auch ausgeht.
Wo früher Bäume in den Himmel wuchsen, wachsen heute Kräne. Auch sie werfen Schatten, erquickliche allerdings nur für wenige. Woher kommt das Wasser und der Dünger für diese Neophyten?
Herr Benedikter liefert imme wieder gute Denkanstöße. Dass der HGV es genau so wünscht, fordert bzw. sich so verkauft ist nachvollziehbar, glauben muss man das deswegen aber noch lange nicht.
Das Hamsterrad im Tourismus wird vom Meister-Geleier, der Kuenzner-Urbanistik + der skurrilen "nachhaltigen" Werbung der IDM angetrieben:
1 - für unberührte Natur,
2 - tolle Events,
3 - eimalige "HOT SPOTS",
4 - "fossile ENERGIE-fressende-einmalige- Welness-Erlebnisse",
5 - "der Landschafts-Verhüttelungs-Energie fressenden-nach wenigen Jahren-WEGWERF-Architektur",
6 - den Einladungen zur Leichenschau vom "ÖTZI",
7 - den mit SUVs überfüllten Straßen, nicht nur zu Saisons-Spitzenzeiten,
8 - mit der Bindung aller verfügbaren Mittel in den Tourismus-Gemeinden "für die Gäste",
9 - dem totalen Ausbau "der Infrastrukturen" (Lifte, Pisten, Aussichtsplattformen + Musseen) bis zum letzten Winkel,
10 - mit Super-IDEEN von Meister, Dorfer & CO.
... wird sich immer schneller drehen, bis bis zur "totalen Selbst-Störung".
... + die Karavane der Gäste wird zu anderen einmaligen ... weiterziehen ...
Sehr lesenswerter Beitrag Herr Benedikter!
Abgesehen davon, dass der Tourismus natürlich eine der tragenden Säulen der Wirtschaftsleistung in Südtirol darstellt, bleibt eben die Frage ob die Endrechnung auch aufgeht?
Und hier vielleicht ein weiteres diesbezügliches Thema bzw. Frage; Lässt sich eruieren oder herausfinden wieviel die Tourismusbranche schlussendlich am effektiven Steueraufkommen beiträgt? Im Verhältnis zu anderen Wirtschaftszweigen (Landwirtschaft natürlich ausgenommen) bzw. im Verhältnis zum Umsatz? Und dann abzüglich der Steuergelder und Förderungen welche für den Tourismus aufgebracht werden?
Es scheint nämlich fast so als ob auch die Steuergesetzgebung die Betriebe schlicht dazu zwingt auszubauen, aufzukaufen, zu erweitern ... anstatt Steuern zu zahlen. Wobei?! ... soweit ich weiß lassen sich auch höhere Löhne für MitarbeiterInnen zu 100% und sofort "abschreiben". Vielleicht wäre auch das eine Sicherung der eigenen Hotel- und Palast-Zukunft?
Abgesehen von der Mehrwertsteuer, welche die Tourismustreibenden zwar einheben und weiterleiten, in Wahrheit aber vom Konsumenten bezahlt wird, glaube ich, dass die Touristiker nicht jene Steuern bezahlen, welche ihrem Verdienst entsprechen.
Das Schmiermittel für das Hamsterrad für den Tourismus sind die Steuergesetze,
die auch noch "die ALLES eher als NACH-HALTIGE-KLIMA-gerechte WEG-WERF-ARCHITEKTUR fördern,"
zu den un-sinnigsten ABSCREIBE-KÄUFEN im Dezember verleiten,
billige SAISONS-Mitarbeiter braucht, "deren Lohn mit dem Arbeitslosengeld kalkuliert wird,"
die Gemeinderats-Beschlüsse "nach der Vorteil-Haftigkeit für den Tourismus gefasst werden,"
die Tourismus-Städte + Dörfer aufbläht, "aber außerhalb der Saison die gefühlte LEERE aufzwingt,"
"das tägliche EINKAUFEN teuer + das WOHNEN unerschwinglich macht,"
das ALLES "für nicht einmal 20 % der WIRTSCHAFTS-LEISTUNG von Südtirol!"