Spätestens ab Herbst 2015 soll ein zunächst „symbolischer Betrag“ eingesammelt werden, man spricht von voraussichtlich 20-25 Euro im Jahr. Dieser Betrag für das ABO+ sowie – vermutlich – auch die normalen Tarife, sollen dann schrittweise angehoben werden. Das Ziel: beim öffentlichen Nahverkehr soll durch den Tarif, den die Nutzer zahlen, eine Deckungsquote von mindestens 35% erreicht werden, laut Florian Mussner eine Folge einer entsprechenden EU-Regelung.
Wirklich, die Folge einer EU-Regelung? Warum schreibt dann Italien bereits im „Conferimento alle regioni ed agli enti locali di funzioni e compiti in materia di trasporto pubblico locale, a norma dell'articolo 4, comma 4, della legge 15 marzo 1997, n. 59” einen solchen Deckungsgrad vor? Und dies seit dem 01.01.2000. Uns Südtiroler hat es zumindest bisher nicht daran gehindert, unseren öffentlichen Nahverkehr stärker zu subventionieren - man spricht von einer Deckungsquote von knapp 24%. Warum also plötzlich der Schrei nach „EU-Direktiven“. Kann das sein, dass man lästige Einsparungen lieber jemand anderem in die Schuhe schieben will?
Daumen rauf, liebe vergangene Landesregierung.
Missverständnisse gleich mal auf Seite: Ich persönlich finde den öffentlichen Nahverkehr und seine Förderung toll. Und der Südtirol Pass ist völlig richtig weitergedacht. Der öffentliche Nahverkehr ist ökologisch und wirtschaftlich das bessere Angebot als die individuelle Mobilität: Und wenn man Nutzer dazu bringen soll, das Angebot wahrzunehmen, so müssen die Tarife attraktiv, der Dienst ordentlich, und die Nutzung super einfach sein. Mit dem Südtirol Pass kann Frau und Herr Südtiroler einfach frei in so ziemlich jedes öffentliche Verkehrsmittel einsteigen. Die Suche nach Ticketverkaufsstelle oder passendem Kleingeld ist seither Vergangenheit. Daumen rauf, liebe vergangene Landesregierung.
Nur: was hat es jetzt genau mit der Subventionierung des Öffentlichen Nahverkehrs mit dem ABO+ genau auf sich? Warum dürfen Schüler und Senioren über 70 den Dienst kostenlos nutzen? Bei solchen Transferleistungen kann ich mir eigentlich nur zwei Gründe vorstellen, warum ich das mache: Entweder ich will sozial schwächere Schichten entlasten, oder ich will einen nachhaltigen ökologischen Effekt erreichen.
Falls das Ziel war, die sozial schwächeren Schichten zu entlasten, dann dürfte ich kaum mit der Gießkanne vorgehen und alle SchülerInnen und RentnerInnen – unabhängig von ihrer Einkommenssituation – vom Transporttarif befreien. Sinnvoller wäre es wohl, jedem nach seiner persönlichen Bedürftigkeit zu unterstützen. Warum sollte zum Beispiel eine vom Glück gesegnete Seniorin mit ordentlicher Rente, Immobilien- und Wertpapierbesitz genauso von dem Beförderungstarif befreit werden wie ein Altersgenosse, der nur knapp über die Mindestrente verfügt? Und warum sollte das Kind einer Familie mit zwei hohen Einkommen die gleiche Begünstigung kriegen wie das Kind einer Alleinerzieherin am Existenzminimum?
Kann es also sein, dass es gar nicht darum ging, sozial schwächere Schichten zu entlasten? War das Ziel vielleicht ein ganz anderes? Das Werkzeug, damit Transferleistungen diejenigen erreichen, die sie wirklich benötigen, gibt es bereits: die EEVE oder einheitliche Einkommens- und Vermögenserklärung.
Kann es also sein, dass es gar nicht darum ging, sozial schwächere Schichten zu entlasten? War das Ziel vielleicht ein ganz anderes?
Das ABO+ sei kein "Wahlkampfzuckerle" gewesen, sondern eine hervorragende Sensibilisierungskampagne, meint Florian Mussner in einem heute veröffentlichten Interview. "Ich kenne viele Leute, die sich deswegen kein zweites Auto gekauft haben", meint Mussner. Volltreffer! Ging es also doch mehr um das Einleiten eines ökologischen Wandels? Wollte man Nutzer dazu bringen, lieber die öffentlichen Verkehrsmittel als das eigene Auto zu verwenden? Wollte man etwa so innovativ wie das estnische Tallinn sein: dort gibt es Nahverkehr zum Nulltarif!
Ich kenne viele Leute, die sich deswegen kein zweites Auto gekauft haben. (Florian Mussner)
Im Kampf gegen tägliche Staus und für die Umwelt hat Estlands Hauptstadt nämlich als erste europäische Hauptstadt seit Jahresbeginn 2013 den Gratis-Nahverkehr in der ganzen Stadt eingeführt. Seither können die 420.000 Einwohner der Großstadt an der Ostsee alle Busse und Bahnen umsonst nutzen. Ich finde das: Toll! Eine solche Aktion scheint für die BürgerInnen zwar kostenlos zu sein, sie ist aber nicht umsonst: Bereits nach wenigen Monaten ging der Autoverkehr in der Innenstadt nämlich signifikant zurück. Die Teilhabe von sozial schwächeren Schichten und die Zuwanderung in die noch unterbesetzte Stadt haben angezogen.
Ziehen etwa Südtirol und Estland an einen Strang, um die individuelle Mobilität über mehr öffentlichem Nahverkehr neu zu definieren?
Pustekuchen! Wenn es das war, was wir wollten, müssten die Subventionierungen wohl eher an berufstätige Pendler gehen: Sie sind es, die überzeugt werden müssen, auf Bus und Bahn umzusteigen. Die alte Landesregierung zielte mit dem ABO+ hingegen auf Rentner „over 70“ und Kinder. Haben die, wie Florian Mussner heute meinte, deswegen auf ein zweites Auto verzichtet?
Bei Gelegenheit frage ich mal die Spielwarengeschäfte ab, ob der Verkauf von Playmobil-Autos zurückgegangen ist. Kann ja mal sein.
Weder sozial fokussierte Transferleistung also, und wohl auch kein primär ökologisches Interesse. Moment mal. Da gibt’s ja noch eine Option: War das ABO+ etwa ein Wahlgeschenk für die breite Bevölkerungsgruppe der Senioren und Familien? Und kann dieses Wahlgeschenk jetzt etwa wieder eingestampft werden, nachdem seine Schuldigkeit getan ist? Es sind ja noch ein paar Jahre hin, bis zu den nächsten Wahlen…
Oh. One more thing...
Lieber Landesrat Mussner, lieber Landesrat Achammer, vielleicht lest ihr ja diese Zeilen. Ich finde den öffentlichen Nahverkehr toll, den SüdtirolPass genial, und ich sehe es ein, dass in harten Zeiten nicht nach dem Gießkannenprinzip subventioniert werden darf. Nur zu also, überlegt euch eine richtige Tarifstruktur, bei der sowohl das Prinzip der Kostenbeteiligung der Nutzer, als auch das der sozialen Transferleistungen berücksichtigt wird. Ich unterstütze das.
Nur eines noch, bitte, lieber Philipp: Als das Wahlgeschenk des ABO+ für die SchülerInnen eingeführt wurde, wurde in den Schulen prompt das „Theatergeld“ gestrichen. Gingen die SchülerInnen nämlich als Teil des pädagogischen Konzepts einmal im Jahr während des Unterrichts ins Theater, so hatte die Schule die Mittel, die Eintrittsgelder zu bezahlen. War ja schließlich eine verpflichtende schulische Veranstaltung. Mit Einführung des ABO+ wurden diese Gelder gestrichen – die Kinder dürfen ja im Gegenzug gratis zum Theater fahren.
Ich bringe gern einen Stapel Kopierpapier mit in die Schule, und das Eintrittsgeld gebe ich meinen Kindern auch gerne mit. Ich fände es aber echt nett, wenn ihr jetzt den Schulen das gestrichene „Theatergeld“ wieder aufstocken würdet. Die Schulen, ja, die können es nämlich wirklich brauchen.
Die Kinder fahren dafür nächstes Jahr auch nicht mehr gratis.
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