Es war einmal ein Park, im Herzen einer Stadt. Besonders schön war er nicht. Der Baumbestand lieblos instand gehalten, die Stiefmütterchen im Blumenbeet depressiv verstimmt. Zigarettenschachteln, leere Pet-Flaschen, eine Dönertüte, hinterlassen von achtlosen Passanten. Die Parksitzer Leute, die man (je nach politischer Einstellung) fürchtete oder bemitleidete. Aber vielleicht haben das Parks an Verkehrsknoten ja so an sich.
Näher ran, an den Puls der Zeit?
Es überrascht also nicht, dass der Park im städtischen Leben keine nennenswerte Rolle spielte. Bis sich mit einem Schlag alles änderte. Es wurde bekannt, dass die Stadtverwaltung im Zuge der fortschreitenden Privatisierung große Pläne gemacht hatte für das Parkareal – und das hinter geschlossenen Türen: Ein Einkaufszentrum sollte seinen Platz einnehmen, die Stadt sozusagen dem „Puls der Zeit“ näher bringen.
Mit fadenscheinigen stadthistorischen Erläuterungen wurde versucht, der Vorgehensweise die mangelnde Logik einzubläuen.Was dann kam, überstieg die wildesten Vorstellungen aller Beteiligten. Jung und alt, Akademiker und Hausfrauen, mit großen Parolen und Kochtöpfen, tausende Leute auf den Straßen. Besetzung des Parks mit Zelten und Schlafsäcken, Informationstreffen, Workshops, Zukunftsvisionen. Und dann: Wasserwerfer, Knüppel, Tränengas, Schlägereien, Verhaftungen, 8000 Verletzte, 11 Tote. Krieg. Erinnern Sie sich? Das war Gezi Park, Istanbul 2013. So fern, so nah.
Das ist, zugegeben, ein gewagter Vergleich. Wir sind 100.000 und nicht 18 Millionen, eine alternde Gesellschaft und keine aufstrebende, haben keine semi-totalitäre Regierung und die meisten Menschen freuen sich, wenn sie lachende Frauen auf der Straße sehen. Unsere Zivilgesellschaft ist eine Aufklärung, zwei Kriege und einen Nationswechsel alt, die türkische in Sturm und Drang Zeit. Auch handelt es sich in Bozen nur um einen Teil des Parks und um einen großteils wirklich heruntergekommenen Gebäudebestand. Ich will aber trotzdem beim Vergleich bleiben. Es ging in der Türkei, und es geht auch in Bozen nicht darum, ob der Park nun schön oder ein „Schandfleck“ ist, sondern vielmehr um die Beziehung zwischen öffentlichem und privatem Raum im Stadtgefüge oder klarer, um die Frage: Wie wollen wir leben? Diese Frage ist natürlich nicht sichtbar, wie die zwei Pakistanis mit den Plastiktüten auf der Parkbank, aber deshalb nicht irrelevanter.
Istanbul, Gezi Park - Bozen, Bahnhofspark
Für die Istanbuler war es klar, dass das Bauvorhaben ein Angriff auf ihre Grundrechte war – das Recht auf Mitbestimmung und das Recht auf Versammlungsfreiheit. Jene exzessive Konsumkultur, die – der Südtiroler Sturheit sei dank - nun sehr spät, aber doch auch in Bozen Eintritt erlangt, ist in der Türkei längst angekommen. Wo man vom Zara T-Shirt zum neuesten IPhone alles in Raten kauft, erscheint die Verpfändung des zukünftigen Gehalts als fairer Preis für den lang ersehnten Platz in einer Welt, in der das Produkt „Ich“ alles bedeutet. Nein, so wollen wir nicht sein. Dachten wir. Der aufkommende Wohlstand und der damit verbundene Bildungsboom hat in der Türkei zur Entstehung einer „Critical Mass“, einer kritischen Bevölkerung geführt, die durch Zugang zu Wissen und Vernetzung eine kräftige Gegenströmung zum türkischen Regierungsrezept Amerika+Saudi Arabien bildet. Sie arbeitet an einer Gesellschaft, in der sich jeder verantwortlich fühlt für seine eigenen Handlungen, und – in Unabhängigkeit eigener Interessen, religiöser und politischer Ansichten - auch ein kleines bisschen für die Allgemeinheit. Das sind Dinge, die wir Europäer eigentlich schon seit der Aufklärung verinnerlicht haben. Oder? Hier in Bozen verstehen wir uns als konsumkritisch und tolerant, als Bürger einer Stadt, in der die Dinge funktionieren und alles seine Ordnung hat. Ist das so? Die Öffentlichkeit streitet lauthals über völlig irrelevante Details, die Gemeinde enthält ihr die Grundfragen vor, ein privater Unternehmer schreibt Gesetze für eine Stadt in der er nicht lebt und die Medien berichten über Politikerrenten, Bordells und den Millionsten Museumsbesucher. Worum geht es hier eigentlich?
Zur Illustration: Ich finde die Fassade von Architekt David Chipperfield eigentlich schön und gar nicht so unpassend für Bozen. Die schlichte Klarheit und klassische Gliederung erinnern an die Qualitäten unserer rationalistischen Baugeschichte (Gerichts- und Finanzgebäude, Freiheitsstraße etc.), das edle Messing mit seiner etwas spießigen Eleganz passt doch auch ganz gut nach Bozen. Doch darum geht es nicht! Ich würde sogar sagen, zur Fassade braucht die Öffentlichkeit keine Meinung. Diese gestalterische Frage steht am Ende und nicht am Anfang eines Projekts dieser Größenordnung und man kann man sie im Übrigen ruhig den Fachleuten überlassen. Viel wichtiger sind die Fragen: Welche Rolle will Bozen spielen - regional, national und international - in einer vernetzten und globalisierten Welt? Welche Zukunft wollen wir für den Bozner Einzelhandel? Für die Peripherie und umliegenden Dörfer? Was brauchen wir wirklich, und langfristig? Doch um diese Fragen zu stellen müsste man sich engagieren, oder zumindest informieren. Da könnten wir noch einiges von den sogenannten Schwellenländern lernen. Denn vielleicht sind wir, gefangen in unserer bürgerlichen Ordnung, zu träge geworden um über seichte Fassadendiskussionen hinauszugehen.
Die öffentlichen Debatten in der Eurac
Einige Mutige haben es doch versucht, und zwar bei den drei basisdemokratischen Marathonveranstaltungen im Jänner 2015 (Öffentliche Debatten in der EURAC Bozen). Im Großen und Ganzen ist es den Initiatoren gelungen, fachlich fundierte Expertenmeinungen zu präsentieren. Das Format und die Strukturierung der Veranstaltungen war zugegebenerweise nicht leicht verdaubar - der Besucheransturm mäßig. Dabei half es auch nicht, dass eine (doch so notwendige) substantielle Zusammenfassung der drei-bis fünfstündigen Sitzungen seitens der lokalen Medien eigentlich ausgeblieben ist.
Dabei lohnt sich das anhören: Dado Duzzi, als Vertreter der Handelskammer, führte vor Augen, dass Bozen mit 1790m²/1000 Einwohner (Mailand: 1073m²/1000 EW; Verona: 1068m²/1000 EW) bereits ein überdurchschnittliches Verhältnis zwischen Verkaufsfläche und Einwohner hat. Das heißt nicht, dass die Mieten unter den Lauben nicht hoffnungslos überteuert und großflächige Immobilien Mangelware wären; aber 25.000 bzw. (mit kreativer Auslegung des Raumprogramms) 37.000m²? Und wären da nicht die beeindruckende Anzahl an Bildern der Geschäftsleerstände, die Gemeinderat Claudio Vedovelli für seine Slide-show gesammelt hat. Weintraubengasse, Bindergasse, Freiheitsstraße, Italienallee, Turinstraße und so fort. Dado Duzzi klärte mit entsprechenden Statistiken darüber auf, dass weder Arbeitsplätze noch Kaufkraft beliebig multiplizierbar sind. Im Gegenteil: Ein neuer Arbeitsplatz im Großhandel, das koste zwei im kleinen oder mittelgroßen Betrieb. Das Dilemma mit der Kaufkraft präsentierte Architekt Andreas Flora von der TU Innsbruck auf dem Silbertablett: Vielzitiertes Beispiel Innsbruck. Die Tiroler Regionalplanung der letzten Jahrzehnte basierte auf dem Prinzip der Zentralisierung mit Innsbruck als Solisten. Die Folge: Dörfer als Durchfahrtsorte, Schlafstädte mit dem einen oder anderen Lebensmitteldiscounter, Fachmarkt, einer Tankstelle.
Zum Einkaufen, Feiern, ja zum Leben fahren die Dörfler nach Innsbruck. Südtirol (und gut, wahrscheinlich auch die Schweiz) ist in dieser Tendenz eine Ausnahme im Alpenraum. Es hat sich hier ein dezentrales Model erhalten, in dem Handwerk, Handel und Kulturleben in den Dörfern zur Selbstverständlichkeit gehören. Die Kaufkraft also wird in einem Einkaufszentrum Bozen nicht neu erzeugt, sondern von diesen fragilen Subzentren abgezogen. Anstatt also in die Zukunft blickend die Chancen der globalen Vernetzung für regionale Strukturen zu nutzen, auf ein träges, in dieser Form veraltetes Modell zurückgreifen? Vielleicht hängt das Ganze ja auch am in die Zukunft blicken selbst. Beim ebenfalls sehrschwach besuchten Vortrag von Prof. Holger Pump-Uhlman (europaweit anerkannter Experte zum Thema) umriss Architekt Christoph Mayr-Fingerle zwei Grundmängel der Bozner Stadtplanung: Visionen und Realitätsbewusstsein. „Bolzano Quo Vadis?“ fragten neben Architekt David Calas und Dado Duzzi noch einige andere in der EURAC. Mit ARBO (internationaler Planungswettbewerb Projekt Bahnhof Bozen) hatten wir 2010 doch endlich eine Vision, einen Masterplan für das gesamte Bahnhofsareal. Davon spricht heute keiner mehr. Und spätestens wenn man die schönen einheitlichen Bilder aus dem Büro Chipperfield neben die der heutigen Situation legt, muss man erkennen dass der Schritt von Immigranten, Schmuddel-Fast Food und Sexshops zu Kosmopoliten, Luxuswohnungen und Einkaufparadies im goldenen Käfig ein radikaler ist.
Städte sind und waren immer schon ambivalent . Und Realität kann man nicht weg-bauen sondern höchstens verdrängen. Ich frage mich schon lange nicht mehr, warum es in der Geschichte des Zivilisationen immer eine Phase des Wachstums, der Blüte und des Verfalls gibt. Wohlstand und Übersättigung führen wohl naturgemäß zu Desinteresse und einer lähmenden Dekadenz. Es fällt mir allerdings auch schwer zu glauben, dass in einer Welt, die durch den enormen Strukturwandel einer Netzwerkgesellschaft zunehmend parallel statt seriell funktioniert, in der der Einzelne mehr Einflusspotential hat als je zuvor, ein solcher Verfall nicht aufzuhalten oder zumindest umzugestalten ist. Es war einmal ein Park, im Herzen einer Stadt. Besonders schön war er nicht. Der Baumbestand lieblos instand gehalten, die Stiefmütterchen im Blumenbeet depressiv verstimmt. Es wurde bekannt, dass die Stadtverwaltung im Zuge der fortschreitenden Privatisierung große Pläne gemacht hatte für das Parkareal – und das hinter geschlossenen Türen: Ein Einkaufszentrum sollte seinen Platz einnehmen. Mit fadenscheinigen stadthistorischen Erläuterungen wurde versucht, der Vorgehensweise die mangelnde Logik einzubläuen. Was dann kam, überstieg die wildesten Vorstellungen aller Beteiligten. Nämlich gar nichts. Denn es interessierte niemanden.
Online Stream mit den Beiträgen von:
Dado Duzzi im online Stream, öffentliche Debatte 23.01.2015, 01:10:00 – 01:18:30. Claudio Vedovelli im online Stream, öffentliche Debatte 30.01.2015, 03:58:45 - 04:06:50. Andreas Flora im online Stream, öffentliche Debatte 30.01.2015, 01:52:00 - 02:09:00. Ich weigere mich den Begriff „Kaufhaus“ zu verwenden, er ist typologisch gesehen eindeutig falsch und das wissen auch Rene Benko und Architekt David Chipperfield. Mehr dazu von Arch. Lorenz Brugger (online Stream, öffentliche Debatte 23.01.2015, 02:56:40 – 03:08:00)
Veronika Mayr ist Architekturstudentin und hat in Graz und in Istanbul gearbeitet. Zurzeit absolviert sie ihr Masterstudium an der TU Delft in den Niederlanden; sie interessiert sich für formellen und informellen öffentlichen Raum, globale Vernetzung und ihren Einfluss auf die Lokalkultur.
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