Der Landtag ist Ministerpräsident Renzi zuvorgekommen und hat die Immobiliensteuer auf Erstwohnungen mit bis 7 Zimmern (!) und 2 Garagen (!) komplett abgeschafft. Das wurde von der politischen Mehrheit medienwirksam als Steuerentlastung für den Bürger kommuniziert. Dabei zahlten die meisten Besitzer von Erstwohnungen bereits bisher keine GIS, lediglich in einigen Gemeinden mit hohen Immobilienpreisen reichten die gewährten Freibeträge nicht aus, um größere, an die 110 m² Nettofläche grenzenden Wohnungen gänzlich zu befreien. Die Regierung in Rom ist trotz aller Kritik aus dem Ausland fest entschlossen, zu Jahresbeginn dasselbe mit der IMU durchzuziehen. Da wird von unten nach oben umverteilt und keiner sagt was! Kein Aufschrei von Gewerkschaften, linken Parteien und Meinungsmachern.
Politiker jeder Couleur trichtern dem Volk in regelmäßigen Abständen die Vorteile einer Abschaffung der Immobiliensteuer ein und propagieren sie als soziale Maßnahme, wohl wissend, dass es sich um eine der verhasstesten Abgaben Italiens handelt. Dabei bedienen sie einen geläufigen psychologischen Irrtum, dem Steuerzahler zu unterliegen pflegen: Sie empfinden eine selbst einzuzahlende Steuer als schmerzvoller als andere Abgaben, die - wie die IRPEF - regelmäßig und in viel größerem Umfang vom Arbeitgeber zurückbehalten oder - wie die IVA - im Kaufpreis eingerechnet und damit nicht als Belastung wahrgenommen werden. Und die Rechnung der Regierenden scheint aufzugehen: Die Masse lässt sich von ein paar monatlich eingesparten Euros überzeugen, manchen reicht bereits das Gefühl der Unantastbarkeit ihres Heimes.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch: Die Befreiung aller Erstwohnungen verschafft den wohlhabenderen Familien weit größere Vorteile als den bereits durch Freibeträge teilweise (oder in Südtirol auch ganz) entlasteten Besitzern einer Erstwohnung. Vermögende handeln in familiären Dimensionen und verteilen das Kapital dermaßen auf die Familienmitglieder, so dass der Fiskus so weit wie möglich durch die Finger schaut. Ein gut situiertes Elternteil mit 4 volljährigen Kindern kann bspw. ein Millionenvermögen auf 6 Wohnungen verteilen und diese allesamt als Erstwohnung mit Hauptwohnsitz eintragen lassen. Sogar Ehegatten können den Vorteil getrennter Wohnsitze genießen. Bei den herrschenden Immobilienpreisen in den Südtiroler Städten ist es kein unmögliches Unterfangen auch für Wohneinheiten mittlerer Größenordnung einen Millionenbetrag zu veranlagen. Ab sofort bis zu 7 Zimmern steuerfrei.
Unter den wenigen kritischen Stimmen in Italien (in Südtirol kenne ich keine) finden sich Vincenzo Visco, ehemaliger Finanzminister diverser Links-Regierungen und PD-Linksabweichler Pierluigi Bersani. Sie heben hervor, dass Geringverdiener und arme Bevölkerungsschichten meist gar keinen Immobilienbesitz haben und damit überhaupt nicht von der Abschaffung der IMU profitieren.Sie schlagen konkret einen um die 400 Euro angesetzten Freibetrag für alle Erstwohnungen vor, was ungefähr einem Drittel aller Besitzer eine völlige IMU-Befreiung bescheren würde. Auf alle Nicht-Erstwohnungen einfacher Beschaffenheit sollte eine niedrig startende, aber mit dem Wert progressiv ansteigende Vermögenssteuer erhoben werden mit einem Freibetrag von einer halben Million pro Kopf. Eine solche Besteuerung der Immobilien wäre auch deswegen gerecht, weil diese im Unterschied zu den (für den Erwerb der Liegenschaften eingesetzten) Einkommen schwer vor dem Fiskus zu verstecken sind. Im Normalfall scheint eine Immobilie in öffentlichen Registern auf und kann nicht wie Gewinne, Finanzkapital oder Steuersitze ins Ausland verschoben werden.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Wachstumsimpulse hält die IMU-Abschaffung nicht, was Renzi sich von ihr verspricht. Unzählige Ökonomen, die Europäische Union, der IWF, die Banca d'Italia und die Ratingagentur Moody's raten dem Regierungschef aus wirtschaftspolitischen Gründen eindringlich von seinem Vorhaben abzulassen. Vermögenssteuern wie die IMU/GIS haben weit weniger Einfluss auf Produktivität, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit eines Landes als Einkommens- und Unternehmenssteuern. Die steuerliche Entlastung der Produktionsfaktoren Arbeit und unternehmerische Tätigkeit hätte hingegen das Zeug, einen Nachfrage- und Investitionsschub hervorzurufen, die Italien nach 20 Jahren Stillstand und in Anbetracht seines enormen Schuldenstandes dringend benötigen würde. Von der Abschaffung der IMU/GIS auf Erstwohnungen wären hingegen kaum Nachfrageimpulse im Inland (durch höhere Kaufkraft der Arbeitnehmer) und aus dem Ausland (aufgrund konkurrenzfähigerer Produkte durch Produktivitätssteigerungen) zu erwarten. Gerade heute (28.09.) erschien der Bericht der EU-Kommission „Tax reforms in EU Member States 2015“. In diesem glänzt Italien mit der höchsten Besteuerung auf Arbeit in ganz Europa und mit dem größten „cuneo fiscale“, also der höchsten Differenz zwischen Lohnkosten und Nettogehalt. Angesichts einer Beschäftigungsquote von 59,9% der Bevölkerung gegenüber den 70,9% im EU-Schnitt, sieht die Kommission für Italien die Notwendigkeit, die Steuern auf Arbeit zu senken. In der Folge macht der Bericht eine zu geringe Besteuerung der Hauptwohnung gegenüber anderen Formen von privaten Geldanlagen aus, was potentielle Preissteigerungen hervorrufen könnte. Dies wiederum würde v.a. jungen Menschen und Familien den Wohnungserwerb erschweren, ganz nach dem Motto: Wer schon hat, dem wird gegeben. Zum Wachstumsimpuls der von der IMU-Befreiuung ausgehen sollte, schreibt die Kommission: „Die negativen Auswirkungen der Besteuerung des Immobilieneigentums auf das Wachstum sind im Vergleich zur Besteuerung des Einkommens sehr beschränkt. Daher würde eine Angleichung der Bemessungsgrundlage an die Marktwerte der Immobilien nicht nur eine Erhöhung der Einnahmen bringen, sondern auch die aktuellen Verzerrungen und ungerechten Wirkungen korrigieren“.*
Zusammenfassend: Im Unterschied zur Besteuerung von Löhnen und Unternehmertum wirken Vermögenssteuern weniger hemmend auf die Wirtschaftstreibenden und würden der besitzenden Klasse jenen gerechten Anteil an der Finanzierung des Staates abverlangen, der ihm bei der Einkommensentstehung nur allzu häufig vorenthalten wird: Auf 91 Milliarden Euro wird der Fehlbetrag aufgrund der Steuerhinterziehung für die Jahre 2007 bis 2014 geschätzt.
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suedtirolfoto.com Othmar Seehauser
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