Kürzlich hat die Vereinigung Südtiroler Biologen mit einem offenen Brief an die Landesregierung das Gülle-Verbot in Natura2000-Gebieten bekräftigt und sie aufgefordert, die Problematik des generellen Nährstoffüberschusses in der Berg-Landwirtschaft ernsthaft anzugehen.
Die Reaktionen des Südtiroler Bauernbundes und des Beratungsringes (BRING) kamen prompt, waren einseitig und blendeten wesentliche Fakten dieses Problems aus. Hintergünde und Daten zur Nährstoffproblematik in Südtirols Grünlandwirtschaft werden in diesem Beitrag näher beleuchtet und bringen das Dilemma der heimischen Berg-Landwirtschaft auf den Punkt.
Die Vereinigung Südtiroler Biologen (VSB) bedauert, dass in diesen Reaktionen des Bauernbundes und des Beratungsringes (BRING) ziemlich einseitig argumentiert wurde und entscheidende Fakten ausgeblendet blieben. Daher sieht sich die Vereinigung veranlasst, eine notwendige Gegendarstellung abzugeben, damit sich jeder/e von der eigentlichen Problematik der Sache ein umfassendes Bild machen kann.
Gülle – die Frage nach dem Maß
Die VSB teilt mit den Vertretern des SBB und dem BRING die Meinung, dass Gülle ein natürlicher und vollwertiger Dünger auf den intensiven Wirtschaftswiesen ist.
Allerdings – und diesbezüglich scheiden sich wohl die Geister – ist die Menge der ausgebrachten Gülle das anzuprangernde und – für einige Bauern – das zu lösende Problem.
Südtirols Milchwirtschaft sichert ohne Zweifel das Einkommen vieler Berglandwirtschaftsbetriebe. Die in den vergangenen Jahrzehnten politisch geförderte maßvolle Intensivierung der intensiv nutzbaren Flächen hat vielen Bauern das wirtschaftliche Überleben auch erst ermöglicht.
Umso mehr verwundert die Haltung des SBB und des BRING, welche das System Gülle mit aller Vehemenz verteidigen, ohne auch die Nachteile dieses Wirtschaftsdüngersystems anzusprechen, wohl wissend, dass viele Südtiroler Bergbauern aufgrund einer unangemessenen Intensivierung und einer entsprechenden Güllewirtschaft mit verarmten und teilweise verunkrauteten Wiesen bzw. dem Problem von teilweiser Versalzung der Böden zu kämpfen haben.
Dabei wurde diesen Bauern jahrzehntelang von offizieller Seite Gülle als einziges wirtschaftliches Hofdüngersystem empfohlen und entsprechend subventioniert, ohne dabei die Grenzen von angemessenen bzw. unangemessenen Güllegaben aufzuzeigen.
Den vom BRING angeführten Studien, wonach es keine Unterschiede zwischen Gülledüngung und Düngung mit Festmist und Jauche gäbe, stehen Studien gegenüber, welche die nachhaltige Schädigung der Bodenflora und –fauna durch die Güllewirtschaft belegen.
Mikroorganismen sowie Regenwürmer reagieren sehr empfindlich auch auf die maßvoll ausgebrachte Gülle. Regenwürmer als essentielle Humusbildner sind durch das Ammoniak der Gülle besonders gefährdet; sie überleben die direkte Kontamination vielfach nicht.
Aber auch die Ziel-Futterpflanzen sind bei Gülleeinsatz gefährdet: durch die eingebrachten Salze Kalium und Phosphor, durch Ammoniakschädigung der Blätter und Wurzeln verschiebt sich auf Dauer das Konkurrenzverhalten der einzelnen Futtergräser zueinander. Futterbaulich unerwünschte Arten wie Wiesenkerbel, Bärenklau, Löwenzahn u.a. nehmen in der Folge derart überhand, dass weder die Futterqualität noch die Futtermenge den wirtschaftlichen Anforderungen des Bauern bzw. dessen Vieh entsprechen.
Zusätzliche Futterzukäufe und Ausgleichsfütterungen mit Eiweiß- und Energiekonzentraten (Soja, Mais, Getreide, …) sind die Folge und tragen wohl kaum zum wirtschaftlichen Erfolg der Bergbauern bei. Diese Zukäufe schaukeln den betriebsinternen Nährstoffkreislauf zusätzlich auf. Eine nachhaltige Berglandwirtschaft sieht anders aus.
Dagegen ist die Düngung der Wiesen mit Mist bzw. mit Mist und Jauche sowohl für die Pflanzenbestände, die Bodenflora und –fauna wesentlich verträglicher und ermöglicht somit auch von vornherein eine höhere Biodiversität. Artenreiche Bergwiesen sind ein Ergebnis eben dieser traditionellen Wirtschaftsweise. Um ihre Biodiversität im Sinne des von der Gesellschaft geforderten Naturschutzes (z.B. Natura2000) zu erhalten, müssen die ausgebrachten Nährstoffgaben auch den wirklich abgeführten Nährstoffmengen entsprechen.
Natura 2000 – Alle tragen Verantwortung
In den Natura2000-Gebieten gelten seit Beschluss des Europäischen Rates im Jahr 2001 besondere Verpflichtungen zum länderübergreifenden Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten sowie deren natürlicher Lebensräume. Natura2000 ist ein europäisches Schutzgebietsnetzwerk mit dem Ziel, den sowohl von der Europäischen Union als auch von den Mitgliedstaaten in der Konvention über biologische Vielfalt (CBD, Rio 1992) beschlossenen Schutz umzusetzen. Es muss jeder EU-Staat dieser Verpflichtung nachkommen. Das rechtliche Instrumentarium dazu bilden die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie.
Dieser gesetzliche und gesellschaftliche Auftrag müsste der Berglandwirtschaft und deren Standesvertretung bzw. deren Verarbeitungs- und Vermarktungsorganisationen doch eigentlich Anliegen und Aufgabe sein. Zumindest vermittelt diese in der Öffentlichkeit und auf Werbeseiten die natur- und landschaftsschonende Wirtschaftsweise. Auch in den Natura2000-Gebieten wurde traditionell teils mit Festmist, seltener mit Jauche gedüngt und es wurden damit auch ertragreiche Wiesen bewirtschaftet.
Das Vollgüllesystem und die überhöhten Nährstoffgaben aus den Futterzukäufen können wohl kaum als traditionelle Wirtschaftsweise angesehen werden. Im Gegenteil, die aufgeschaukelte und daher nicht umweltverträgliche Nährstoffspirale steht im Widerspruch zur angeblichen „Produktion von umweltgerechten Produkten“ durch die Berglandwirtschaft.
Und sie macht es unmöglich, die verpflichtenden Natura2000-Ziele umzusetzen.
Fakten auf den Tisch
Der BRING ist der Öffentlichkeit folgende Fakten schuldig:
1. Der durchschnittliche Viehbesatz unserer Bergbauernbetriebe ist mit 12 Großvieh-Einheiten (GVE) im internationalen Vergleich sehr klein, die durchschnittliche Flächenverfügbarkeit unserer Bergbauernbetriebe ist mit ca. 6 Hektaren jedoch ausgesprochen klein.
2. Eine dauerhaft nachhaltige Wirtschaftsweise ist damit nicht durchführbar und lediglich Futterzukäufe (bis zu 50%) halten dieses System am Leben.
3. Die Flucht in eine unangemessen intensive und nicht nachhaltige Produktion (>2 GVE / Hektar) trägt wenig zur Existenz-Sicherung unserer wirklichen, von Fleiß und Mühe geprägten Bergbauern bei.
3. Die rückläufige Zahl der Tiere kann – so wie vom SBB-Obmann Tiefenthaler formuliert – wohl kaum auf eine Extensivierung in der Berglandwirtschaft zurückzuführen sein und entspricht in keiner Weise der Realität.
4. Leider müssen vor allem kleine und meist sachgerecht wirtschaftende Betriebe ihre Tätigkeit einstellen, während die großen semi-industriellen Betriebe durch entsprechende Futterzukäufe in der Vergangenheit die frei werdenden Milchquoten stellen konnten.
Die Vereinigung Südtiroler Biologen anerkennt sehr wohl die Leistungen der Bergbauern für die Südtiroler Kulturlandschaft und fordert den SBB auf sich den Herausforderungen und den Kritiken konstruktiv zu stellen und diese als neue Handlungsfelder anzuerkennen.
Auch sollte er daran denken, dass es schlussendlich Konsumenten, Bürger und Steuerzahler sind, welche die Produkte des Bergbauern kaufen sollen, welche die in die Landwirtschaft fließenden Geldmittel bereitstellt und welche dem Bauernstand berechtigterweise auch einen gesunden Wandel in Hinblick auf Natur und Umwelt abverlangen.
Verstärkter Aufruf
Die Thematik ist spannungsgeladen und bewegt sich zwischen der Frage nach der Wirtschaftlichkeit und dem Überleben der Berglandwirtschaft, einer teilweise fehlgeleiteten Landwirtschaftspolitik (abzulesen u.a. am umweltrelevanten Problem des zunehmenden Nährstoffüberschusses) und der Verpflichtung zum Erhalt der Biodiversität. Die Vereinigung Südtiroler Biologen ruft alle dazu auf sich mit offenen Fakten, Wahrheiten und sachlicher Diskussion einzubringen.
Auch fordert sie alle öffentlichen Institutionen (Universität Bozen, Versuchzentrum Laimburg, Landwirtschafliche Schulen und Berater, usw.), die mit dieser Thematik von Berufs wegen befasst sind, sich in die Diskussion einzuschalten und zu einer langfristigen Lösung der Gesamtproblematik beizutragen.
Norbert Dejori / Vorsitzender der Vereinigung Südtiroler Biologen
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