Es ist schon lächerlich, was Südtiroler Studierende in Wien derzeit zu lesen bekommen. Da gibt es einen - oh Schreck! - Verein, der von - noch skandalöser! - Südtiroler Steuergeldern finanziert wird und noch dazu - was für eine Schande! - leben Menschen in einer Wohnung, in der sie sich regelmäßig treffen und andere Studierende kurzzeitig unterkommen und sich beraten und helfen lassen können.
Hat sich irgendwer in diesem politischen Musikantenstadl einmal die Mühe gemacht, mit den Leuten zu sprechen, die in der Wiener Außenstelle der sh.asus leben? Hat sich irgendwer mal die Mühe gemacht, eben nicht in Bozen, sondern in Wien nachzufragen, bei den Personen, die dort Unterstützung gesucht haben, die dort untergekommen sind, die dort beraten wurden? Die dort politisiert wurden? 2010 war ich genau so eine.
Schwarzspanierstraße 15/1/6 - 1090 Wien
Als ich vor fünf Jahren nach Wien kam, war ich relativ orientierungslos. Bis auf mein Studienfach wusste ich nicht viel, ich war vorher noch nicht einmal dort gewesen. Aber hey, eine große Stadt, ein bisschen weiter weg von daheim? Warum nicht. Im Sommer nach der Matura machten sich ein guter Freund und ich auf den Weg - wir wollten eine Wohnung finden, da diese in Wien im Durchschnitt doch immer noch billiger waren als Heimplätze. Wir übernachteten bei der sh.asus, der interethnischen, politischen Vertretung der Südtiroler Studierenden.
Die Wohnung der sh.asus Wien ist ein Altbau, mitten im 9. Bezirk, um die Ecke vom Campus der Uni Wien. Im großen Vorzimmer stand ein „Wuzzler“, in Südtirol besser unter dem Begriff „Calcetto“ bekannt, es hängen Bilder und Plakate aus längst vergangenen Jahren, deren Geschichten erst zum Vorschein kommen, wenn eins sich länger mit ehemaligen sh.asusler_innen darüber unterhalten hat, über die Besetzung des Südtiroler Platzes beispielsweise, als die Studiengebühren wieder eingeführt wurden. Irgendwo liegen noch ein paar Quer herum, die Zeitung, welche die sh.asus Wien früher herausgegeben hat.
Das Wohnzimmer ist das Herzstück der Wohnung, es ist Bibliothek, Informations- und Aufenthaltsraum zugleich. Es stehen bunte, aus allen sh.asus-Generationen stammende Sessel und Möbel darin. Der runde Tisch hat wohl schon einiges mitgemacht an Feiern und Diskussionsabenden und -runden. Daneben gibt es noch ein zweites Wohnzimmer, in dem öfter mal Lernnachmittage organisiert wurden. Wenn zu viele Gäste da sind, weichen sie schon mal auf die Couch im Wohnzimmer aus.
Und das Gästezimmer! Nicht nur ein Mal habe ich dort übernachtet, damals, das erste Mal noch auf einer Matratze am Boden, als wir dann später eine eingespielte Gruppe von aktiven Menschen waren, haben wir Stockbetten angekauft. Wir wollten den Raum auch neu ausmalen - und sind daran gescheitert, weil uns irgendwann am Sonntag Nachmittag die Farben ausgingen und die Lust verließ. Es ist aber an den Wänden offensichtlich, dass wir nicht die ersten Gescheiterten waren: Sie sind ein einziges Kunstwerk aus blau, rosa und weiß. Auch Küche hätte wohl einiges zu erzählen: Studierende aller Generationen haben ihre Spuren hinterlassen: ein merkwürdiges Wellen-Sonne-Meer-Gemälde an der Wand, alles in rot gehalten - und irgendwo hängt ein Bild eines Südtiroler Frühstückstisch, liebevoll mit Bleistift gezeichnet, mit Dolomiten, Bild-Zeitung, Brioche, Zigaretten und Kaffee - hier in Wien der Inbegriff des Reaktionären.
Natürlich war es manchmal chaotisch - wir sprechen von einer Wohnung, in der Studierende wohnen, die andere Studierende beherbergen, welche dann selbstständig ein- und ausgehen - so what? Genauso selbstverständlich legten wir nach jeder größeren Feier einen Putztag ein. Denn - oh Wunder! - es erschien uns unverantwortlich, die Bewohner_innen damit allein zu lassen. Aber Beschwerden haben uns nie erreicht... Interessant, dass sich Südtiroler Studierende augenscheinlich lieber an die Freiheitlichen wenden, als an die verantwortlichen Personen vor Ort.
Studierendenvertretung ist Politik
Als wir damals in die sh.asus Wien kamen, war ich misstrauisch. Ich war doch nicht nach Wien gegangen, um mich dann schon wieder „nur“ unter Südtiroler_innen aufzuhalten. Und doch kam ich nicht umhin, dass mich eine Gruppierung, die sich zu diesem Zeitpunkt klar um einen tiefgründigen, politischen Diskurs bemühte, begeisterte. Als ich dann - etwa ein Jahr später selbst aktiv wurde, war das wohl eine der schönen Zeiten des Studierenden-Daseins: Wir diskutierten nächtelang im Wohnzimmer - darüber, ob auch wir zu den Protesten der Österreichischen Hochschüler_innenschaft aufrufen sollten (im Zweifelsfall entschieden wir uns meistens dafür), darüber, wann wir vor der stressigen Prüfungszeit Ende Januar noch ein Transparent für die Demonstration gegen den Akademikerball malen sollten. Wir diskutierten darüber auf deutsch und italienisch, wir diskutierten über die Verschulung des Studienwesens, über weibliche Genitalverstümmelung, über Leistungsstipendien, über Ernährungssolidarität, über die Entpolitisierung unserer Zeit, über Literatur und Poesie und vor allem darüber, was wir in unserem eigenen Verein überhaupt bewegen wollten.
Vor allem bei letzterem ging uns irgendwie immer alles viel zu langsam. Wir schimpften über das reaktionäre Südtirol und erfreuten uns an der Beobachtung, wie viele kritische Menschen in unseren Räumen aus- und eingingen. Wir diskutierten mit Roberta Dapunt, Matthias Vieider, und vielen mehr, kochten, organisierten, planten und vor allem lernten wir. Das alles mag banal klingen, aber was ich dabei lernte, war in erster Linie die Tatsache, dass allein die Entscheidung, Studierende zu vertreten, eine zutiefst politische ist - und zwar eine, die sich in ihrer Grundausrichtung gegen Ellenbogentaktik, gegen Konkurrenzdenken, gegen Verschulung und gegen jede Art von Zugangsbeschränkungen zu richten hat. Als Aufgabe einer Studierendenvertretung sah ich es nicht mehr, Geld für Hochschulen aufzutreiben, sondern vielmehr dieses Geld einzufordern. Eine Studierendenvertretung hat Studierende zu vertreten, nicht die Parteipolitik und deren Gremien. Sie ist in der angenehmen Situation, nicht irgendwelchen Politiker_innen nach dem Mund reden zu müssen, große Visionen auszuformulieren, sie darf, sie soll, sie muss anecken und gestalten - und sie muss Gestaltungsmöglichkeiten einfordern. Sie kann, soll und muss also genau das tun, was jungen Menschen tendenziell am besten liegt.
Das Private ist politisch
Die sh.asus ist kein politischer Verein mehr, die universitäre Verschulung, der Bologna-Prozess und viele gesellschaftliche Entwicklungen sind auch an Südtiroler Studierenden nicht spurlos vorübergegangen, auch nicht an der Wiener Außenstelle. Dafür kann und muss der Verein kritisiert werden, was viel zu selten passiert. Es ist traurig, dass den Freiheitlichen nun zu gelingen scheint, was die sh.asus in den letzten Jahren nicht geschafft hat: nämlich eine Diskussion darüber ins Rollen zu bringen, was eine Studierendenvertretung sein soll, was sie tun soll und muss, was sie darf und sogar, von wem sie sich einen Maulkorb anlegen lassen darf.
Die Außenstelle der sh.asus in Wien ist vielleicht die einzige Außenstelle, die sich in ihren Ansätzen noch ganzheitlich für die Interessen Studierender stark macht. Wenn sie beispielsweise auf die Straße geht, wenn Rechtsextreme in der Hofburg tanzen, kommt das nicht von ungefähr: Studierende sind nicht nur Studierende. Sie sind in erster Linie Teil dieser Gesellschaft und damit deren Mechanismen unterworfen - also auch Sexismus, Rassismus, Homo*Bi*Transphobie und nicht zuletzt dem starken europaweiten Rechtsruck (und noch vielen anderen mehr). Diesen Tendenzen entgegenzutreten ist relevant, vor allem für Studierende. Das Private ist politisch, warum haben wir diese zentrale Aussage der Frauenbewegung vergessen? Menschen zu vertreten heißt doch auch, sie nicht allein zu lassen, oder? Und dafür reicht es nicht, Erstsemestrigen zu sagen, zu welchem Amt sie laufen müssen.
Die Räumlichkeiten der sh.asus Wien waren - so lange ich sie kenne und so lange ich aktiv war - keine Bude, kein exklusiver, männerbündlerischer, deutschtümelnder Raum, weshalb ich mich auch gegen den Begriff des Budenwarts verwehre. Sie waren offene Orte des Austauschs, der Kritik, der Diskussion, oft genug auch des Streites, in denen sich aber doch immer wieder ein klarer Konsens in der Ablehnung von und im Aufstehen gegen Rechtsextremismus und neoliberales Verwertbarkeitsdenken fand. Großartige, kluge Menschen sind dort, die unglaublich viel Energie und Zeit investieren - ehrenamtlich neben ihrem Studium.
Liebe sh.asus Wien, lasst euch nicht unterkriegen, seid kritisch, seid politisch - das ist eure Aufgabe!
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