Silvio Berlusconi triumphiert: "Die Aussetzung der IMU ist unser Verdienst". PD-Chef Guglielmo Epifani kontert: "Keine Rede. Noch ist die IMU gar nicht abgeschafft. Und von Rückzahlung kann keine Rede sein." Diese primitive Form politischer Auseinendersetzung kennzeichnet Italiens abgewracktes Parteiensystem seit Jahrzehnten. Reformen werden nicht für die Allgemeinheit konzipiert, sondern als Instrument politischer Auseinandersetzung. Sie werden wie Geschütze in Stellung gebracht.
Während die endlose Rezession das Land immer näher an den Abgrund schiebt, bringt das Rechtsbündnis ein Gesetz ein, das den Lauschangriff durch Staatsanwälte regeln soll. Ein Gesetz, das 99 Prozent der Italiener nicht interessiert, weil sie davon nicht betroffen sind. Ein scheinbar irrationaler Akt, gewiss. Doch ein klares Warnsignal an die Linke, das deutlich macht, dass man zum Schutz Berlusconis zu allem bereit ist.Reformen als politische Keule. Während man sich in anderen Ländern bei wichtigen Reformen um einen politischen Konsens bemüht, gilt in Italien das Gegenteil.
Die Reform des Wahlrechts durch Berlusconi verfolgte nur ein vordringliches Ziel: die Linke am Regieren zu hindern. Dass die von ihrem Erfinder Roberto Calderoli als "porcata" bezeichnete Reform die Regierungsfähigkeit des Landes gefährdet, schien Nebensache. Das Mittelinks-Bündnis setzte 2001 mit hauchdünner Mehrheit sogar eine Verfassungsreform durch, die den Regionen Narrenfreiheit einräumte und die es in der Zwischenzeit bitter bereut. Über Jahre setzten Linke und Rechte nach den Wahlen die Reformen ihrer politischen Gegner außer Kraft. Sogar gegen den bescheidenen Liberalisierungsversuch Pier Luigi Bersanis formierte sich 2006 im Parlament hysterischer Widerstand der mächtigen Berufskammern. Häufig bleiben die ohne langfristige Strategie angelegten Reformen ein Flickwerk: bei der Pensionsreform legt jetzt bereits die vierte Regierung Hand an.
Das Diktat der Lobbys
Das römische Parlament wird von einflußreichen Lobbies dominiert, die gnadenlos jede Reform aushöhlen - zuletzt Montis wichtiges Anti-Korruptionsgesetz. Vor 15 Monaten kündigten Alfano, Bersani und Casini eine Einigung über die Verfassungsreform an, mit der die Zahl der Parlamentarier halbiert werden soll. Doch jetzt beginnt der Krieg um das Gesetz von Neuem. Wie man Reformen wirksam verhindert, zeigt der Disput um die Kürzung der Abgeordnetengehälter. Das Parlament beauftragte eine Kommission unter dem Vorsitz des jetzigen Arbeitsminister Enrico Giovannini damit, die Durchnittsgehälter der Volksvertreter in den wichtigsten EU-Ländern zu ermitteln. Nach acht Monaten warf die Kommission das Handtuch: sie könne ihrem Auftrag nicht nachkommen, weil das Parlament "den Rahmen zu eng gesteckt habe." Dass die Parlamentarier ihre Gehälter nicht wirklich halbieren wollten, war schon vorher klar. Viele Reformen sind stark von Ideologie geprägt und schwer anwendbar. Ein Musterbeispiel dafür ist das unter der Bezeichnung Bossi-Fini bekannte Immigrationsgesetz. Der Rechnungshof hat letzthin bemängelt, daß ein Teil von Mario Montis Reformen finanziell kaum abgedeckt sei. Für sein decreto sviluppo waren 71 weitere Dekrete, Durchführungsbestimmungen und Verordnungen erforderlich - ein bürokratischer Dschungel, in dem sich auch Experten nur mit Mühe zurechtfinden.
Dem Ruf nach Reformen, der in Italien von allen Seiten laut wird, ist kaum zu trauen. So ist die Aufregung über die Steuerhinterziehung, von insgesamt 120 Milliarden Euro jährlich, groß. Doch macht die Regierung mit Kontrollen Ernst, hagelt es Proteste. Italiens Reformunfähigkeit ist ein Produkt des verkommenen Parteiensystems, in dem stets Eigeninteressen dominierten. Ein System, dessen Exzesse immer verrücktere Ausmaße annehmen: zur Gemeindewahl in Rom treten am kommenden Sonntag 40 Parteien an. Findige Politiker haben sich auf die Reformmüdigkeit eingestellt. Um keine Alarmstimmung auszulösen, sprechen sie längst nicht mehr von nötiger Veränderung, sondern von "discontinuità".
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