Pünktlich zum Sommerloch gewinnt in Südtirol die Diskussion zur Doppelstaatsbürgerschaft wieder an Fahrt. Es ist das falsche Thema zum falschen Zeitpunkt. Vor ein paar Jahren lanciert, beruhte diese Idee von vorne herein vorrangig auf der Zielsetzung, mit patriotischen Akzenten im Hinblick auf anstehende Wahlgänge zu punkten. Wozu sollten die Promotoren der Selbstbestimmung eine Doppelstaatsbürgerschaft anstreben? Als nostalgische Ehrenurkunde für SüdtirolerInnen mit österreichischen Wurzeln verursacht sie mehr Aufwand als Nutzen. Als Surrogat für das Scheitern der Freistaatidee ist sie kaum geeignet, als Etappe auf dem Weg dorthin von zweifelhaftem Marketingwert. Und was sollte Autonomieverfechter dazu veranlassen, die Doppelstaatsbürgerschaft ins Visier zu nehmen? Konkrete Probleme löst sie nicht, wahrscheinlich schafft sie neue. Der Ruf danach dient allenfalls als medialer Aufzeiger in einer Zeit, wo Heimatbewusstsein wieder politischen Appeal erhalten hat - als Markstein patriotischer Verortung ist er kaum einzuordnen. Hierfür fehlen die Grundstimmung und der Anlassfall.
Freundschaftlich kühl
Auf politischer Ebene sind die Beziehungen zwischen Südtirol und Österreich und speziell auch jene zum Bundesland Tirol freundschaftlich und anteilnehmend, aber eher anlassbezogen als von einem intensiven Austausch geprägt. Unter der Bevölkerung im Bundesland Tirol ist die Stimmungslage, was das Verhältnis zu Südtirol angeht, seit Jahren merklich abgekühlt, sei es was die ideelle Verbundenheit angeht, sei es, was den Bedarf Südtirols an materieller Unterstützung angeht. Schließlich stehen in Tirol 2013 für über 710.000 EinwohnerInnen ca. 3 Milliarden Euro zur Verfügung, während Südtirol seine Autonomie mit einem Haushalt von etwa 5 Milliarden Euro gestaltet und verwaltet. Weiter nach Osten hin flacht das Interesse an Südtirol weiter ab, vor allem seit die Pflege der wirtschaftlichen Beziehungen mit den östlichen und südlichen Nachbarn (wieder) in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist.
Die lokalpolitische Rendite vor Augen, ist letzthin seitens der Südtiroler der Wunsch nach einer Doppelstaatsbürgerschaft informell und ohne lange interne und externe Rücksprache an die Öffentlichkeit gebracht worden. Gewohnt an die Rolle des Schutzbedürftigen, der jederzeit Gehör findet, geschah dies auch ohne Vertiefung der damit zusammenhängenden politischen und juridischen Fragen und in Verkennung der allgemeinen Stimmungslage in Österreich. Das verhätschelte Kind hat vergessen, dass die Beziehung zur Schutzmacht und zu dessen Bevölkerung einer stetigen Pflege bedarf.
Keine reale Bedarfslage
Die Doppelstaatsbürgerschaft für die SüdtirolerInnen ist nicht eine Maßnahme, die akute und aktuelle Probleme löst. Sie mag zwar attraktiv für viele sein, die sich Österreich im Sinne familiärer und kultureller Verwandtschaft und mit Blick auf die positiven Aspekte der habsburgischen Tradition verbunden fühlen, aber deren Einführung als generelle Regel ist mit juridischen und mit politischen Unabwägbarkeiten behaftet. Wie kommen wir überhaupt auf die Idee, ein solches Anliegen als Forderung zu artikulieren? Selbst wenn es nur einen eingeschränkten Kreis von Personen beträfe, wäre der formale Aufwand zur Klärung der Details weit höher als der ideelle Nutzen für die Betroffenen. Die Überprüfung der österreichischen Wurzeln brächte einigen Historikern jede Menge Arbeit. Aber nach deren Feststellung wäre zu entscheiden, welche Rechte mit der Doppelstaatsbürgerschaft zu verbinden sind. Auf eine reale Bedarfslage kann hier nicht Bezug genommen werden. Also: cui prodest?
Eine Staatsbürgerschaft ist normalerweise mit Bürgerrechten verknüpft. Sollten diese den SüdtirolerInnen in vollem Umfang oder nur in eingeschränkter Form zur Verfügung stehen? Welchen Wert hat eine Staatsbürgerschaft, wenn sie nur in beschränkter Form zuerkannt wird? Aus dieser Perspektive wäre es hypothetisch gedacht konsequent, die österreichische Staatsbürgerschaft allen SüdtirolerInnen zuzugestehen. Sollten jedoch Teile der Bevölkerung davon ausgeschlossen werden, so würde damit eine unerfreuliche Diskriminierungsdebatte angezettelt - eine Belastungsprobe für das Klima des Zusammenlebens in Südtirol zu einem Zeitpunkt, wo die territoriale Autonomie und deren gemeinsame Gestaltung als Perspektive an Gewicht gewinnen. Kaum vorstellbar ist es, die Zuerkennung der Doppelstaatsbürgerschaft seitens Österreichs oder im Rahmen eines österreichisch-italienischen Abkommens einfach von Amts wegen zu beschließen. Wird der Grundsatz der Freiwilligkeit berücksichtigt, so könnte sie nur aufgrund einer entsprechenden Antragsstellung zuerkannt werden. Das könnte aber eine ernüchternde Bilanz für die Bestätigung der freundschaftlichen Beziehungen zum Ergebnis haben, wenn nur wenige Anträge gestellt werden. Schließlich ist auch unter der Südtiroler Bevölkerung per Saldo wenig von einer gefühlten Verbundenheit mit Österreich zu spüren. Die historischen Bezüge verblassen in einer gegenwartsbezogenen Gesellschaft. Für die neuen Generationen sind konkrete Bindungen zu Österreich kaum erlebbar. Nachbarschaft fördert auch Konkurrenzdenken. Und die gemeinsamen Anliegen und Vorhaben werden durch unterschiedliche normative Rahmenbedingungen und die Macht alltäglicher Bezugsfelder und Gewohnheiten gebremst.
Respekt vor der Souveränität Österreichs
Es liegt auf der Hand, dass das Anliegen Doppelstaatsbürgerschaft zunächst einmal in Österreich selbst sowohl die Unterstützung politischer Mehrheiten als auch die Akzeptanz der Bevölkerung benötigen würde. Dass auf politischer Ebene in Österreich keine große Freude über den Vorstoß herrscht, ist eigentlich recht klar signalisiert worden - woraus auch Rückschlüsse auf den Stimmungspegel unter der Bevölkerung gezogen werden können. Die Befürwortung durch politische Hau-ruck-Aktionen im Zuge des bevorstehenden Nationalratswahlkampfes in Österreich oder durch eine Unterschriftensammlung in Südtirol bewirken zu wollen, wäre ein Zeichen geringer Achtung der Souveränität Österreichs. Eine Staatsbürgerschaft ist kein Artikel, der im Versandhandel erworben und dessen Zustellung beim Vertreiber urgiert werden kann.
Ungeduldiges Drängen wäre nicht nur ein diplomatischer, sondern auch ein strategischer Fehler. Die Beziehungen zu Österreich müssen als langfristiges Anliegen betrachtet werden. Deren Pflege erfordert einen ständigen Meinungsaustausch auf institutioneller Ebene und einen von politischen Wahlgängen unabhängigen Zeithorizont. In Österreich stehen Nationalratswahlen an, bei denen die Doppelstaatsbürgerschaft nicht zum Gegenstand instrumenteller Wahlkampfemotionen gemacht werden sollte. Schlussendlich aber ist es der Respekt vor Österreich, der die politischen Akteure in Südtirol dazu veranlassen sollte, von dem Projekt Doppelstaatsbürgerschaft Abstand zu nehmen. Österreich hat Südtirol stets tatkräftig unterstützt, wenn es darum gegangen ist konkrete Probleme zu lösen, und ist diesbezüglich nach wie vor ein verlässlicher Ansprechpartner. Südtirol sollte Wien nur mit solchen Anliegen befassen und bei lokalen Wahlkämpfen aus dem Spiel lassen.
Aggiungi un commento
Effettua il login per aggiungere un commento!Commenti