Die Strategie "Energie Südtirol 2050"
Einen Ansatz dafür bietet die Landesregierung selbst, die am 20.6.2011 ein Dokument verabschiedet hat, das ein Modell strategischer Umweltplanung sein könnte. Die Klimastrategie "Energie Südtirol 2050" (nachzulesen auf: www.klimaland.bz.it), erstellt von fünf österreichischen Professoren, setzt das ehrgeizige Ziel, bis 2020 den Energiebedarf Südtirols (ohne Mobilität) zu 75% und bis 2030 zu 90% aus erneuerbaren Energieträgern zu decken. Derzeit liegt dieser Anteil bei maximal 40%. Der CO2-Ausstoß soll von heute jährlich 6,33 t/Person (ASTAT, Energiebilanz 2009) bis 2020 auf 4 t/Person und bis 2050 gar auf jährlich nur 1,5 t/Person gedrosselt werden. Das Verbrennen fossiler Energieträger soll demnach in allen Verbrauchsarten und Lebensbereichen reduziert werden. Dank geringerer Emissionen, geringerem Verbrauch und hohem Anteil an erneuerbaren Energie würde sich Südtirol das Etikett "Klimaland" verdienen.
Vordergründig ist der Anteil der erneuerbaren Energien erfreulich hoch und die Energieintensität der Wirtschaft Südtirols relativ gering. Die Energieintensität ist allerdings maßgeblich durch die Wirtschaftsstruktur bestimmt (hoher Dienstleistungsanteil) und müsste detailliert nach Sektoren ausgewiesen werden, um diesen Struktureffekt von einem möglichen Effizienzeffekt trennen zu können, wie auch Prof. G. Tappeiner in seiner "Regionalen Entwicklungsstrategie 2014-2020" schreibt. Doch die Zahlen des ASTAT (ASTAT-Info Nr.60/2013) weisen in eine andere Richtung: Energieverbrauch und Energieintensität steigen, der CO2-Ausstoß auch.
Was die Autoren der Klimaland-Strategie im Kopf hatten, waren nicht nur nette Worte, schöne Bilder und hehre Ziele wie etwa jene des Landschaftsleitbilds für Südtirol. Vielmehr setzen sie klare Ziele, begründen sie wissenschaftlich, schlagen Maßnahmen in präzisen Etappen vor. Würde die Strategie umgesetzt, wäre sie ein wesentlicher Schritt zu einer neuen Planungskultur in Südtirol. Dafür müssten die Kernpunkte jedoch in die rechtlich verbindlichen Planungsdokumente, wie etwa den LEROP oder die neue "Regionale Entwicklungsstrategie 2014-2020" der Landesregierung einfließen. Sie müssten Richtschnur der Fachpläne des Landes werden und überhaupt die Weichenstellungen für die Wirtschaftsförderung, die Wohnbau- und Verkehrspolitik prägen. Hunderte von seitdem getroffenen Beschlüssen der Landesregierung laufen in die Gegenrichtung. Rotwand-Helm, Antersasc, Altfasstal sind nur die bekannteren Beispiele. Auch Gesetze, die Raumordnungsverfahren beschleunigen und Kontrollen weiter lockern, fügen sich überhaupt nicht ins Postulat "Ressourcen sparen" und "Energie intelligent nutzen".
Mobilität Prüfstein einer echten Politik für den Klimaschutz
Wie kann ein Land, das zu den fünf tourismusintensivsten Regionen Europas zählt, das den meistbefahrenen Transitkanal durch die Alpen aufbietet oder auch erduldet, das eine PKW-Dichte von 650 fossil betriebenen Fahrzeugen pro 1000 Einwohner aufweist, "klimafreundlich" werden? Wird Klimaschutz nicht zur fromm-billigen Illusion, wenn nicht konsequenter bei der treibhausgasintensiven Mobilität angesetzt wird, die in Südtirol allein 31% des gesamten Energieverbrauchs ausmacht? Im Bereich Verkehr war nach leichter Abnahme 2004-2006 seit 2007 wieder ein deutlicher Anstieg des Energieverbrauchs zu verzeichnen. Die Zahl der zugelassenen Kfz, ihre höhere durchschnittliche Leistung und Treibstoffverbrauch scheinen die Ersparnisse bei der Motoreneffizienz wieder aufzuheben.
Energiewende im Gang?
Von einer Energiewende könnte man sprechen, wenn ein klarer Trend erkennbar wäre, dass insgesamt weniger Energie verbraucht, weniger fossile Energie verbrannt wird und die Treibhausgasemissionen kontinuierlich abnehmen. Doch hat der Stromverbrauch in Südtirol von 1997 bis 2009 um 50% zugenommen und steigt weiter. Allein für die Deckung des jährlichen Verbrauchszuwachses wären alle 6-7 Jahre ein Kraftwerk wie jenes in Kardaun oder die geplanten Windräder auf dem Sattelberg nötig. Da Südtirol aber auch Strom zur Deckung der Grundlast von außen bezieht, bedeutet ein steigender Stromverbrauch im Land auch mehr Treibhausgase anderswo aufgrund des bezogenen Strommixes aus Italien.
Bei den Gas-Emissionen liegt Südtirol zur Zeit gegenüber 1990 (Wert 100) beim Wert von 110, hat also die vom Programm "Europa 2020" der EU vorgeschriebenen Hausaufgaben noch nicht gemacht. Zu diesem Zweck müsste es mit dem Gesamtverbrauch fossiler Energieträger herunterfahren, was nicht geschieht. Was Südtirol dank guter Ausgangslage (930 Wasserkraftwerke, 1400 Fotovoltaik-Anlagen, 40.000 Solaranlagen) schafft, ist die Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien bei der Strom- und Wärmeerzeugung. Betrachtet man aber das gesamte Verbrauchsszenario, kommt unser "Klimaland" den propagierten Zielen "Weniger Energie verbrauchen" und "Weniger CO2 in die Luft blasen" nicht näher. Die Vision des Klimalands, wenn sie nicht Etikettenschwindel sein soll, muss sich an diesen beiden Maßstäben messen lassen. Auch vom Ziel der Selbstversorgung ist Südtirol noch weit entfernt, wie der Naturnser Energiefachmann Peter Erlacher im Naturschutzblatt des DfNUS Nr.1/2011 erläutert hat. Im Bereich Verkehr und thermische Energie bleibt mittel- bis langfristig eine enorme Abhängigkeit von außen aufrecht, während nur bei der elektrischen Energie doppelt so viel produziert wird wie im Land verbraucht wird.
Bloße Forcierung der erneuerbaren Energien keine Lösung
Mit einer bloßen Umstellung auf erneuerbare Energien ist es somit nicht getan. Einsparungen und mehr Effizienz beim Einsatz von Energie, ressourcensparende Produktionsverfahren und Emissions- und Abfallvermeidung sind ebenso wichtig. Nachhaltigkeit bedeutet, mit den vorhandenen Ressourcen so umzugehen, dass die nachfolgenden Generationen gerechte Entfaltungsmöglichkeiten haben. Es kann nicht bedeuten, den Energieverbrauch wie bisher zu steigern, aber eben aus importierten erneuerbaren Ressourcen wie etwa beim Holz, bei Futtermitteln, anderen Bio-Treibstoffen. Denn eine Energiepolitik, die Raubbau an den erneuerbaren Energieträgern (Wasserkraft, Holz, Biomasse) betreibt oder zu gravierende Eingriffe in die Landschaft mit sich bringt, ist genauso wenig nachhaltig. Die Substitution von fossilen Brenn- und Treibstoffen steigert zwar die Wertschöpfung und schafft Arbeitsplätze im Land, sofern die erneuerbaren Energien aus der Region selbst stammen. Die Erzeugung erneuerbarer Energie darf aber nicht als Alibi missbraucht werden, um den letzten Bach abzuleiten, naturnahe Wälder zu zerstören, die Landschaft im alpinen Ökosystem durch Windparks zu entstellen, gewachsene Kulturlandschaften durch großflächige Fotovoltaikanlagen zu verschandeln, oder durch Überdüngung des Grünlands mehr Biogas zu erzeugen. Bei der Reduzierung des Energieverbrauchs in Wohngebäuden wird einerseits das Sanieren von Altbaubestand gefördert, andererseits werden neuerdings beim Energiestandard dieser Sanierungen wieder Abstriche gemacht.
Die Strategie "Energie Südtirol 2050" weist tatsächlich in eine klimafreundliche Zukunft, wo mit Energie intelligenter umgegangen wird, doch scheint der politische Wille zur konsequenten Umsetzung in der Landespolitik noch zu fehlen. Die Wissenschaftler haben den Weg vorgezeichnet, den Südtirol in den nächsten Jahrzehnten zu gehen hat, wenn es im Klimaschutz tatsächlich in der Serie A spielen will. Allein, die Landespolitik ist auf diese Strategie noch nicht konsequent eingeschwenkt. Die neue Landesregierung wäre gefordert, die vor zwei Jahren verabschiedete Strategie "Energie Südtirol 2050" ernst zu nehmen und in allen energieträchtigen Politikfeldern umzusetzen, wenn das "Klimaland" keine bloße PR-Veranstaltung bleiben soll.
Thomas Benedikter
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