Ivan ist 20. Ein Jahr hat er auf der Straße gelebt, von Slowenien hat er sich nach Südtirol durchgeschlagen, „meine Mutter hat mich nach der Geburt weggeben, dann bin ich bei meinen Großeltern aufgewachsen. Als ich 15 wurde sind Opa und Oma gestorben. Dann bin ich zu meinem Onkel gekommen, irgendwann hat er mich rausgeworfen.“ Ivan spricht gut Deutsch, „hab ich mit Fernseh schauen gelernt“, sagt er, und Stolz schwingt mit, in seiner jungen Stimme. Acht Jahre Schulausbildung, gelernt hat er gern, „ja, ich kann auch englisch und italienisch ein bisschen“, erzählt er weiter. Mit grauer Trainerhose und lässigem T-Shirt sitzt er vor mir, in einer Südtiroler Anlaufstelle für Obdachlose. „Ich bin froh, dass ich jetzt hier bin, auch wenn ich schon bald wieder weiter muss.“ Ohne Wohnsitz kann Ivan nicht bleiben, bürokratische Mauern vermeiden Menschlichkeit.
Beschenken – ein Kontakt
Diese Mauern, dieses „organisatorische, dieses umständliche“ wollten drei junge SüdtirolerInnen vermeiden. „Wir wollten selbst aktiv helfen, wir wollten wissen wo die Sachen hinkommen, die wir spenden“, erzählt Benjamin Lechner, einer der drei Initiatoren, die „Make the homeless smile“ in Bozen umgesetzt hatten. Obdachlose werden mit Kleidung, Essen und einem Händedruck beschenken, auch die Tiere der Menschen, die zwischen Kartons und unter Brücken leben, werden versorgt. Dokumentiert wird das Ganze von einer Filmkamera. „Eine Freundin hat mir das Video, das auf youtube zirkuliert, gezeigt. Dort beschenken zwei Typen aus Amerika Obdachlose, also Homeless people. Ich war wirklich sehr gerührt und hab mir gedacht, wir könnten das auch bei uns in Südtirol machen.“ Mit Barbara Medei und Michaela Golser, alle drei machen sich privat für den Tierschutz stark, wurden Kleider gesammelt und Essen gekauft. „Viele von uns leben doch heute sehr egoistisch“, sagt Benjamin, er ist von Beruf Tanzlehrer. „Wir haben alles: ausreichend zu essen, ein Dach überm Kopf. Wenn jeder von uns mehr abgeben würde, dann hätten wir alle genug.“
Irgendwo ist noch - Würde
Ivan ist gerüht, als er das Video "Make the homeless smile" sieht. In einem verfallenen Haus hat er gelebt, zwischen Ratten, ein Jahr lang. Südtirol ist schon lange mehr keine Insel der Seeligen. „Ein Freund hat mir einen Schlafsack geschenkt. Es war kalt, ich hatte Hunger, ja, es war eine schlimme Zeit.“ Ivan hat den Kopf gesenkt, da ist Scham, „keine schöne Geschichte zu erzählen.“ Auf der Straße herrschen andere Gesetze, Sicherheit gibt es keine. In Italien wurden 2012 knapp 50.000 Menschen statistisch erfasst, die kein Dach über dem Kopf haben. Die Dunkelziffer liegt wie immer um einiges darüber.
„Gut, dass die das Video gemacht haben“, sagt der junge Slowene, „aber ich glaube es wäre besser, wenn sie die Leute fragen, ob sie sie filmen dürfen.“ Respekt und Würde sind Fremdwörter, wenn Menschen ein Leben abseits der Gesellschaft führen. „Ich hab auch gebettel." Seine Stimme ist leise, „aber wie sollte ich denn überleben? Damit ich mir eine Wohnung leisten kann brauch ich mindestens 200 Euro. Und wie soll ich eine Arbeit finden, wenn ich stinke und mich nicht waschen kann?“
Immer mehr Menschen haben keinen festen Wohnsitz, und die Zahl der jungen Obdachlosen steigt.
Obdachlosengeschichten bei der "Arge für Obdachlose".
Was die Caritas in Südtirol für Obdachlose macht, lesen Sie hier.
Helfen nach Standard?
Die kontroverse Diskussion, die auf salto.bz um den Filmbeitrag der jungen Aktivisten entstanden ist, „Helfen soll auf respektvollere Art erfolgen“, überrascht Barbara Medei sehr. „Unter einer Brücke im Unrat liegend gefilmt zu werden“, sei alles andere als menschenwürdig, schreibt Sabina Frei. Medei ist 28, hat auf einer Amerikareise das Obdachlosenproblem so richtig wahr genommen, "da hab ich den Menschen auf der Straße bei Starbucks Kuchen gekauft, so hat für mich alles angefangen." Ihre Motivation schildert die Pustertalerin: „Der Sinn vom Film war, Menschen zu sensibilisieren. Hätten wir im Nachhinein einen Text geschrieben, wäre die Motivation von Nachahmern gleich Null gewesen. Wir wollen nicht uns, sondern Menschen in Not in den Vordergrund stellen.“ Benjamin Lechner bringt es klar auf den Punkt: „Respektloser als unseren Film finde ich, dass so viele Menschen tagtäglich an den Obdachlosen vorbei gehen. Weg schauen, jeglichen Kontakt vermeiden. Bei dem Radltag am Sonntag in Bozen sind Hunderte einfach vorbei gegangen an den den Obdachlosen. Niemandem ist eingefallen, ihnen etwas zu geben. Diese Menschen fühlen sich wie Dreck bei uns, sie werden ja nicht mal wahr genommen. Wir wollen mit unserer Aktion erreichen, dass alle hinschauen.“
Was Benjamin, Barbara und Michaela meinen, ist Ivan klar, er erinnert sich: „Die Leute gehen an einem vorbei, das ist normal, sie wollen dich nicht sehen.“ Für die jungen Helferinnen war die Freude der Menschen Anlass genug um nicht aufzugeben und weiter zu machen. „Die Menschen auf der Straße waren so überrascht, dass jemand an sie denkt. Dass sie jemand wahr nimmt, ihnen einfach etwas gibt.“ Benjamin fügt hinzu: „Alle können nicht gut finden was wir tun, aber das ist uns eigentlich auch egal. Wir machen weiter.“ Am 13. Oktober sollen die Obdachlosen in Brixen beschenkt werden. Doch wer definiert, was menschenwürdig oder unwürdig ist? Wer möchte wem Hilfskompetenz absprechen?
Ivan hat sich heute in einem Vier-Sterne-S-Hotel im wunderschönen Südtirol vorgestellt, als Küchenhilfe. "Glaube nicht, dass sie mich nehmen. Sie haben gesagt, lieber sind ihnen die Einheimischen." Dann schaut Ivan mich an und sagt: "Vielleicht wissen Sie Arbeit?" Ich denke nach, die Frage lässt mich nicht los und ich gebe sie weiter, die Frage: "Weiß jemand Arbeit für Ivan?"
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