“Nihil novum sub sole”. Dieser lateinische Spruch (Es gibt nichts Neues unter der Sonne) fällt mir angesichts der derzeitigen Flughafendebatte unwillkürlich ein. Große neue Infrastrukturen waren immer schon umstritten. Denken wir nur an die Kritik am Bau des Brennerbasistunnels, der jetzt von den Flughafengegnern überraschenderweise als Argument gegen den Flugplatz ins Feld geführt wird, oder an die jahrelange Polemik um die MeBo in den 80-er und 90-er Jahren.
Interessanter ist es, noch weiter zurück zu blicken, in die Frühzeit der Eisenbahn im 19. Jahrhundert. „Unnütz, zu teuer, schädlich“, dieser Slogan des Komitees no-airport.bz war auch zu Beginn des Eisenbahnjahrhunderts ein Leitmotiv der Bahngegner. Neben den ausufernden Kosten orteten sie allerhand Schäden für die Gesundheit und Umwelt. Gewiss konnte der Lärm und das Rütteln des Zuges auf Dauer die Gesundheit des Eisenbahnpersonals beeinträchtigen. Dass aber der Qualm der Dampfloks die hindurchfliegenden Vögel töte und die in der Nähe weidenden Kühe keine Milch mehr geben würden, konnte sehr bald widerlegt werden. Auch das Gutachten des bayerischen Obermedizinalkollegiums vom Jahr 1838, wonach „die schnelle Bewegung bei den Reisenden unfehlbar eine Gehirnkrankheit, eine besondere Art des delirium furiosum erzeugen würde“, weshalb es ratsam sei, „dieser grässlichen Gefahr zu trotzen“ und nicht mit der Bahn zu fahren, musste nach kurzer Zeit als eines der kuriosestes Gutachten der Medizingeschichte verworfen werden.
Die Bahngegner waren ein bunter Haufen. Romantische Naturliebhaber störten sich an der technischen Gestalt der Anlagen, am Eingriff in die Schönheit der Natur. Die Vertreter des traditionellen Transportgewerbes, die Kutscher, Pferdehalter und Postgasthäuser, prangerten die Schädigung der Wirtschaft durch die Eisenbahn an. In den Städten diskutierten die Bürger heftig über Vor- und Nachteile der Eisenbahn und gar manche zweifelten, dass die Kombination von eisernen Schienen und eisernen Rädern die erwartete Effizienz bringen würde. Konservative kirchliche Kreise wiederum waren besorgt über den drohenden Sittenverfall, wenn nun die Großstädter leicht in ländliche Gebiete fahren konnten, und predigten gegen die „Höllenmaschine“ Eisenbahn.
Bei den betroffenen Bauern herrschten nicht selten ungeheuerliche Ängste und Befürchtungen. Einige glaubten, dass die funkensprühenden Dampfrösser die Ernte zerstören und ihre Wälder anzünden könnten. Andere prophezeiten, dass die Eisenbahn zum völligen Ruin der Landwirtschaft führen müsse, und zwar u.a. auch deshalb, weil der Anbau von Hafer überflüssig werde. Auch die Rentabilität der Bahn wurde stark angezweifelt. So wies der Preußische Generalpostmeister darauf hin, dass die meisten Postkutschen nur selten voll seien. Was solle dann die Eisenbahn befördern?
Vision und Angst, Aufbruch und Nostalgie, Gemeinwohl und Sonderinteressen, Planung und Widerstand prägten also auch in der Frühzeit der Eisenbahn die Debatte. Die meisten Sorgen und Befürchtungen galten aber nach kurzer Zeit als widerlegt. Das Eisenbahnnetz konnte rasch seine Effizienz beweisen. Und so kippte die Stimmung ziemlich schnell in allgemeine Begeisterung um. Es entstanden viele private Initiativen und Investitionsvorhaben, die schließlich dazu führten, dass überall auch der Staat die strategische Bedeutung von Bahnlinien erkannte und den Ausbau des Schienennetzes vorantrieb.
In Tirol begann das Zeitalter der Eisenbahn erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So wurde zwischen 1858 und 1867 in Etappen die Bahnlinie von Kufstein bis Verona gebaut, 1871 die Verbindung von Franzensfeste durch das Pustertal nach Lienz, Villach und Maribor fertiggestellt, 1881 die Strecke Bozen – Meran eröffnet und 1906 die Vinschgaubahn von Meran bis Mals, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Eisenbahn hatte zu dieser Zeit längst ihre Effizienz bewiesen. Alle aufgeschlossenen Kräfte im Landtag, in den Ratsstuben der Städte und Gemeinden, bei Unternehmern und Technikern erkannten die unverzichtbare Bedeutung eines effizienten Bahnnetzes für Fremdenverkehr, Handel und Wirtschaft sowie für den Absatz landwirtschaftlicher Produkte. Die politischen Auseinandersetzungen betrafen daher vor allem die Frage, wohin Eisenbahnlinien gebaut und wie sie finanziert werden sollten. Und man stritt eifrig über Prioritäten und neueste technische Lösungen. Dass es zeitgemäße Eisenbahnen und Bahnhöfe brauchte, war allen maßgeblichen Kräften klar.
Es gab aber auch Bremser, Verhinderer und Gegner. So war der erzkonservative Abt von Marienberg Leo Treuinfels als Mitglied des Tiroler Landtags dem Bau der 1909 eröffneten Nonstalbahn, die als längste elektrisch betriebene Überlandbahn Österreichs eine Pionierleistung darstellte, alles eher als gewogen, denn er war strikt gegen das Herumreisen der Leute. Da konnte ihm der Neumarkter Landtagsabgeordnete Dr. Anton Freiherr von Longo noch so lange erklären, um was es ging: „Wir wollen nicht Bahnlinien gebaut sehen, damit die Nonsberger fortreisen, sondern damit sie zuhause bleiben…. Die Leute sind gezwungen auszuwandern …… und ich glaube, für das Land wäre es in hohem Grade vorteilhaft, wenn den Leuten Gelegenheit geboten würde, zu Hause zu bleiben. Und diese Gelegenheit wird sich bieten, wenn einmal eine Bahnverbindung da ist …. Es lässt sich erhoffen, dass sich dort eine Industrie entwickeln werde…“
Die Idee einer Eisenbahnverbindung von Jenbach im Unterinntal durch das Zillertal und über den Gerlospass in den Pinzgau und nach Salzburg scheiterte am Widerstand der Oberpinzgauer Bauern, die durch das „Dampfross“ große Schäden für die Landwirtschaft befürchteten. Und dass sich die Bauern auch bei uns zu wehren wussten, wenn ihnen etwas in die Quere kam, belegen Berichte in der Bozner Zeitung, wonach im Zuge der 1898 in Betrieb genommen Etschwerke „die von einem studierten Herrn fanatisierten Terlaner Bauern wie seinerzeit das letzte Aufgebot mit Sensen und Heugabeln bewaffnet“ ausgezogen sind, um den Bau der Fernleitung von Meran nach Bozen mit Brachialgewalt zu verhindern. Da kann man sich gut ausmalen, wie die betroffenen Eigentümer am Bozner Boden wohl beim Bau des Bozner Bahnhofs reagiert haben mögen.
Nun, die Bahnlinien wurden gebaut. Weitsichtige Politiker, Behörden und Ingenieure errichteten damit eine ganz wesentliche Infrastruktur für Verkehr, Wirtschaft, Arbeit und Mobilität. Sie schufen eine grundlegende Voraussetzung für die Erfolgsgeschichte des Tourismus in Tirol. Und sie schafften es langfristig, dass die UrUrEnkel der ehemaligen Bahngegner zu begeisterten Bahnbefürwortern mutierten. Denn diese haben nun ein neues Gespenst, gegen das es zu kämpfen gilt: den Flughafen. Wer weiß, was unsere Urenkel einmal darüber erzählen werden?
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