(Vorspann, nachträglich eingebracht am 11.4.: Gestern hatte ich ein längeres Telefongespräch mit Landesrätin Kaslatter Mur, für das ich mich aufrichtig bedanke. Landesrätin Kaslatter Mur hat sich darin über die Darstellung ihrer Aussage in meinem Beitrag beschwert und ausgeführt, dass sie wesentlich differenzierter zur Sache gegangen sei: Sie habe es als Problem dargestellt, dass es in Bozen italienischsprachige Eltern gebe, die ihre Kinder in den deutschsprachigen Kindergarten einschreiben, selbst aber kein Deutsch können und dem Deutschen gegenüber eher negativ eingestellt sind. Ich hatte die Aussagen der Landesrätin auszugsweise im Sender Bozen gehört und den beschriebenen Ductus und Inhalt wahrgenommen. Unabhängig von der Wortwahl, ändert eine wie immer geartete Abschwächung der Aussagen der Landesrätin an den wesentlichen Inhalten meines Blog-Beitrages nichts und ich greife deshalb in den ursprünglichen Text meines Beitrages nicht ein. Ich räume ein, dass ich zur Polemik neige, die mir auch als Textsorte geeignet erscheint, Mißstände aufzuzeigen und Diskussionen anzufachen - wie man es hier eindrucksvoll sehen kann. Ich werde allerdings meine polemische Ader zurückdrängen, die vor allem in einer Zeit gewachsen ist, in der Andersdenkende in der Watt- und Speckrepublik ((saggra! schon wieder polemisch...)) radikal ausgegrenzt und von der öffentlichen Debatte knallhart ausgeschlossen wurden. Ich stelle erfreut fest, dass die Gesprächsbereitschaft und die Lust an grundsätzlichen Debatten auf allen Ebenen in der letzten Zeit sehr zugenommen hat. Das Problem liegt aber viel tiefer: Die Frau Landesrätin und ich waren uns einig, dass wir in allen Politik-Feldern, die Südtirol betreffen, immer wieder auf einen toten Punkt kommen: Es gibt keinen Konsens über eine mögliche Zukunft für dieses kleine Land, wir wissen nicht, wo es sich hin entwickeln soll und das führt zu einer Lähmung der Gesellschaft, Mißgunst und Egoismen, die die Abwärtsspirale antreiben. Eine Debatte über die Autonomie kann sich nicht darauf beschränken, wie der Einfluss des Staates weiter zurückgedrängt werden kann. Ihr muss vielmehr ein neues Gesellschaftsmodell zu Grunde gelegt werden, das von möglichst allen in Südtirol lebenden Menschen als erstrebenswert eingeschätzt wird.)
Ich gebe es zu: Auch ich gehöre zu den "obiettori linguistici", wie Gabriele Di Luca jene Eltern definiert, die ihre Kinder in die Kindergärten der zweiten Sprachgruppe einschreiben, bzw. eingeschrieben haben, weil meine diesem zarten Alter schon entwachsen sind. Wir ziehen also die große Bedrohung für das täglich, stündlich, minütlich, sekündlich vor sich hin sterbende Tiroler Völklein heran, potenzielle Sprach-Bastarden sozusagen.
Dabei nehmen wir nur unsere Rechte wahr und das ist auch gut so. Schon mehrmals hat Frau Kaslatter Mur mit bedauerndem bis aufgebrachtem Ton erklärt, dass - leider! - das Elternrecht in Kindergarten- und Schulfragen vorgehe und dass die Verwaltung nur sehr beschränkt in diese Rechte eingreifen kann. Man hat es ja versucht und immer wieder italienischsprachige Kinder von deutschsprachigen Kindergärten verwiesen, damit die angehenden Nobelpreisträger aus dem eigenen Sprachnest nicht an der kometenhaften Verbesserung ihrer Sprachbiographie gehindert werden.
Ich bedanke mich ausdrücklich beim Schulamt für die italienischsprachigen Südtiroler, dass mir diese hochnotpeinliche Prüfung erspart geblieben ist, als ich meine vier Kinder der Reihe nach ohne irgendwelche Italienisch-Kenntnisse in den Kindergarten bringen durfte, wo sie liebevoll und professionell betreut und schon in zartem Alter von drei und weniger Jahren aufgenommen wurden. Die ersten beiden kamen noch ins vollkommen kalte Italienisch-Wasser und - siehe da! - schon nach ein paar Wochen quasselten sie problemlos mit und verwandelten sich nicht - wie von Blut- und Boden-Apologeten an die Wand gemalt - in dumpfe Kultur-Zombies, die orientierungs-, identitäts- und heimatlos ihrem verpfuschten Leben zuwanken, von verantwortungslosen Eltern aller Zukunftschancen beraubt.
Die beiden Kleinen hatten es noch besser: Sie konnten an Versuchsklassen teilnehmen, in denen Mehrsprachigkeit in der Praxis ausgetestet wurde und wird, ja, sie genossen sogar das von uns Raben-Eltern bevorzugte Modell der mehrsprachigen Unterweisung durch Kindergarten-Lehrerinnen, die verschiedenen Sprachgruppen angehören und konsequent nur ihre Sprache sprechen. Kinder wollen nicht Politik machen, sie wollen lernen, wachsen, kommunizieren. Und sie wissen: Cinzia spricht Italienisch, um bei ihr Erfolg zu haben, ist Dantes Idiom ein gutes Mittel, während Erika ganz der Sprache des großen Geheimrats zugeneigt ist.
Ich glaube, dass es in den Kindergärten mit italienischer Unterrichtssprache keine Sektion mehr gibt, in der der antiquierte Regel-Unterricht angewendet wird, der bei Südtirols Teutonen noch als der Stein der Weisen gilt. Wo man bei den Italienern hinschaut, gibt es nur "sperimentazioni" und "progetti di apprendimento della seconda lingua" und ähnliches. Die italienischsprachigen Südtiroler haben ihre Autonomie genutzt und wagen Neues. Sie dürfen es nur nicht an die große Glocke hängen, weil die SVP den Hahn sonst wieder zudreht.
Und was macht die Landesrätin Kaslatter Mur derweil? Sie beklagt, dass italienischsprachige Eltern zu Hause kein "deutsches Umfeld" aufbauen, wenn sie schon ihren Kindern eine gute Zukunft angedeihen lassen wollen. Darüber habe ich mir als Deutsch-Verräter keine Gedanken gemacht und erst diese arroganten Aussagen der Landesrätin lassen mich vor Scham erröten: Ich habe mich noch nicht bei Südtirols Italienern dafür bedankt, dass sie meine Kinder liebevoll und kompetent aufgenommen haben, ohne von mir zu verlangen, zu Hause ein "italienisches Umfeld" zu schaffen.
Ich wüsste nicht, wie das geht...
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