Es ist heute zunehmend „modern“, Identität als etwas Flexibles wahrzunehmen. Ob sexuelle, kulturelle, sprachliche oder ethnische Identität spielt dabei keine Rolle. „Modern“ in dem Sinne, als dass Ideen und Ideologien, die vielleicht vor 50 Jahren erdacht worden sind und „neu“ waren, heute an ihrem Höhepunkt angelangt sind und so neu nicht mehr sind.
Die Südtiroler sind – folgt man dieser Logik – heute zunehmend keine Deutschen, Italiener und Ladiner mehr und zwar gar nicht deshalb, weil gemischtsprachige Familien oder die Migration diese Konzepte in Frage stellt. Sondern einfach nur deswegen, weil sich irgendjemand in den Kopf gesetzt hat, dass diese Kategorisierungen nicht mehr „zeitgemäß“ sind, dass sie irgendjemanden (wen?) diskriminieren und dass in der Realität ganz viele Südtiroler bereits zwischen den Stühlen und Kategorien sitzen würden.
Wie realitätsfern das alles ist, zeigt sich besonders in einem effektiv gemischtsprachigen Umfeld. Nein, damit sind nicht irgendwelche „Bildungsschichten“ gemeint, die sich jeden Tag neu einreden, weder Deutsch noch Italienisch, sondern „besonders“ zu sein. Das zeigt sich besonders in Orten, die seit Jahrzehnten gemischtsprachig sind. Gemischtsprachig in dem Sinne, als dass beide Volksgruppen nebeneinander und miteinander leben. Die Kategorie „gemischtsprachig“ gibt es dabei in der Praxis, bezogen auf den Einzelnen, kaum. Was sich „gemischtsprachig“ nennt, ist in der Regel nahezu immer eine Tendenz in Richtung einer der beiden Seiten und bezogen auf Südtirol letztlich eine Option für Italien.
Man kann das durchaus auch erklären und das hat man in Südtirol bereits vor gar nicht allzu langer Zeit getan: Sobald die Südtiroler nicht mehr „Deutsche“ sind, sondern „Deutschsprachige“, ist der Weg nicht mehr weit zu den „deutschsprachigen Italienern“. Wo alle anderen Identitätskategorien abhandenkommen, bleibt letztlich die Staatsbürgerschaft als Identitätsmerkmal übrig. Natürlich kann man behaupten, kulturelle Identität, Nationalität, Staatsbürgerschaft seien im Sinne etwas größeren Ganzen zu überwinden. Nur: Wie unrealistisch ist das, wie wenig hat es mit der Lebenswirklichkeit der meisten Südtiroler zu tun und was passiert mit Südtirol inzwischen?
Die Zugehörigkeit zum italienischen Nationalstaat macht in der Realität auf die meisten „Gemischtsprachigen“ mehr Eindruck als irgendwelche realitätsfremde, neuartige Identitätskonstruktionen und als eine Autonomie, die man in Südtirol fast nur noch opportunistisch auffasst. Indem sich Südtiroler deutscher Muttersprache mit Südtirolern italienischer Muttersprache fast ausschließlich nur auf Italienisch unterhalten, setzt sich das Italienische als „lingua franca“ durch. Eine echte Mehrsprachigkeit scheitert nicht am Bildungsangebot in Südtirol, sondern am Willen und an der Mentalität und an einer „Siamo in Italia“-Mentalität, die es letztlich durchwegs gibt. Und ja, bezieht man das Gemischtsprachige auf Orte, in denen das Deutsche in der Minderheit ist, dann weiß man, dass das letztlich immer und in allen Fällen auf Kosten der deutschen Muttersprache geht.
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