Ich jedenfalls sehe keinen objektiv nachvollziehbaren Grund, der dagegen spräche. Denn unbestritten ist Sprache ein überaus mächtiges Instrument, und es ist nicht wirklich einzusehen, warum es als solches und auch weiterhin ausschließlich der männlichen Hälfte der Bevölkerung vorbehalten sein sollte. Welche Macht übrigens Sprache innewohnt, wie dieses Macht-Instrument funktioniert bis manipuliert, das wird u. a. in diesem Artikel zur Flüchtlingstragödie vor Lampedusa recht eindrucksvoll beschrieben: „Das Unglück der Sprache“.
Sprache als Waffe
Aber da fällt mir ein, à propos Unglück: Vor kurzem, zwei Wochen vielleicht oder so, hatte sich ein Leserbriefschreiber aus St. Ulrich in der „Dolomiten“ bitter darüber beklagt, dass „deutschsprachige Tolomeis in Scharen über unsere Almen pilgern, für die gute deutsche Säuberung“. Seither frage ich mich: Was steckt hinter dieser bitteren (An-)Klage? Und was hinter der düsteren Geschichte um den noch jüngst rätoromanischen Vinschgau und dessen Eindeutschung/Zwangsgermanisierung vor nicht mehr als ein paar Hundert Jahren, und zwar mit einem Fanatismus, habe ich mir sagen lassen, der jenem des vielgeschmähten und vielzitierten Tolomei in nichts nachstand? Warum hören wir so wenig davon, in unseren unzähligen Debatten und Streitereien und Diskussionen in Sprachbelangen?! Und natürlich: Gelten denn die Maßstäbe und das „Recht“, die wir für uns beanspruchen, nur für uns, Deutschsüdtiroler? Ist dasselbe „Unrecht“ weniger unrecht, wenn es nicht “faschistisches“, sondern „k & k“- und "deutschnationalistisches" Unrecht ist?! Hat dieselbe Geschichte weniger Gewicht, wenn sie nicht die eigene, sondern die Geschichte der anderen ist? Und nicht zuletzt: Nach wie vielen (Hundert) Jahren darf die Vergangenheit Geschichte werden?
Sprache als Wachstumsfaktor
Wir Südtiroler wissen ja also bestens Bescheid, über die Macht der Sprache – das wäre doch, habe ich mir neulich überlegt, ein schönes Betätigungsfeld für uns, eines, auf dem wir uns international profilieren und hervortun könnten, mit innovativen (ha!) Ansätzen, Wegen und Lösungen; jedenfalls wären wir ziemlich glaubwürdig, mit unseren drei offiziell (inoffiziell sind’s ja schon längst ein paar mehr) anerkannten Sprachgruppen, die auf so engem Raum zusammen leben - wenn wir auch im Moment noch mehr neben- und gegeneinander als miteinander leben = sprechen. Unsere Geschichte, die ältere und die jüngere, aber auch jene, die vielleicht noch aufzuarbeiten wäre, wäre ja doch eine solide Basis für gute Arbeit, und statt BLS und WasWeißIch könnten wir ja vielleicht mal versuchen, große, regionen- und generationenübergreifende Projekte und Studien anzuschieben, die sich z. B. damit auseinander setzen, unter welchen Bedingungen und warum eine minderheitliche Sprachgruppe von einer anderen assimiliert wird, welche die Voraussetzungen sind, damit das nicht passiert - aber auch z. b. die sprachliche Einbürgerung von Migranten wäre ein interessantes Thema, dem wir uns auf großer Ebene widmen könnten. „Think Tank statt Flughafen“, das wäre doch mal was (anderes).
Mehr Sprache, mehr Macht?
Denn es darf ja doch wohl davon ausgegangen werden, dass „mehr Sprachen besser sprechen“ auch „mehr Macht“ bedeutet – es ist also schon recht unverständlich, dass bei uns so großer Wert darauf gelegt wird, diese Türen zum Wesen und zur Kultur der jeweils anderen möglichst verschlossen zu halten – Autonomie sollte doch, meine ich, mehr „Rahmen“ sein und weniger „Fessel“.
Ah, und übrigens: Sind eigentlich Ganztagsschulen, wie sie bei unseren nördlichen näheren und ferneren und recht erfolgreichen Nachbarn immer mehr Zustimmung erfahren, bei uns ein Thema?! Denn gerade wir könnten doch - über den Bildungs-, Familien-, Frauen- und Arbeitsmarkt-Bereich hinaus - auch noch großen, zweit-sprachlichen Nutzen aus ihnen ziehen, wenn z. B. unsere jungen Generationen im (längeren) Vormittagsunterricht in der Mutter- und im (kürzeren) Nachmittagsunterricht in der Zweitsprache gebildet und begleitet würden - derweil die Eltern ganz beruhigt ihrer Arbeit nachgehen, oder auch nicht, je nach Wunsch. So sieht doch Win-Win-Win aus, nicht wahr, und gleichzeitig sacken wir auch noch das Risiko ein, dass andere Regionen mit weit weniger optimalen Voraussetzungen in Sachen Sprachkompetenz an uns vorüberziehen werden, derweil wir in der engen Provinz stecken bleiben mit unseren Sprach-Scheuklappen und unserer kleinlichen Angst, die große Welt da draußen könnte uns verschlucken, wenn wir unsere Tür mehr als nur einen Spalt weit öffnen.
Aggiungi un commento
Effettua il login per aggiungere un commento!Commenti